"L'INCORONATIONE DI POPPEA" - 14. Juni 2009

Die drei überlieferten Opern Claudio Monteverdis, des Begründers der Oper als Kunstgattung, sind seit der Züricher Monteverdi-Trilogie von Harnoncourt und Ponnelle in den siebziger Jahren öfters zu sehen. Seit etwa zehn Jahren ist "L'Incoronatione" besonders beliebt geworden und leider so ziemlich das einzige Bühnenwerk Monteverdis, das überhaupt gespielt wird. "L'Incoronatione di Poppea" des vierundsiebzigjährigen Maestro di Capella von San Marco in Venedig ist der absolute Höhepunkt seines Schaffens. Leider haben nur die Vokalstimmen die vier Jahrhunderte überlebt. Daher ist die Interpretation des Orchesters dem Dirigenten überlassen.

In dieser Reiseinszenierung des Glyndebourne Festival ist das Regiekonzept des Kanadiers Robert CARSEN "Nichts Neues unter der Sonne", d. h. "Sex, Macht und Geld", bzw. "Verrat, Lüge und Mord" (dixit Carsen). Carsen hat das Geschehen resolut ins 21. Jahrhundert verlegt. Im überraschend "modernen" Libretto von Giovanni Francesco Busenello nach des "Annalen" des Tacitus beschweren sich bereits in der 1. Szene die beiden Soldaten, die vor Poppeas Haus Wache halten müssen, über den liederlichen Lebenswandel ihres Herrn Nerone. Michael LEVINE gab sich mit einem einfachen, in purpurrot gehaltenen, optisch angenehmen und ansehbaren Dekor zufrieden, und die Sänger wurden in heutige Kleidung gesteckt (Kostüme: Constance HOFFMAN).

Die diese praktische Reiseinszenierung betreuenden Regie-Assistenten, Daniele GUERRA und Christophe GAYRAL, hatten keine Mühe einen riesigen purpurroten Samtvorhang, der nach dem Prolog vom Schnürboden fällt, in ein gigantisches Kleid für Poppea zu verwandeln oder als eine über die ganze Bühne gebreitete Matte in der Szene zwischen Poppea und Arnalta des 2. Akts zu verwenden. Allerdings gab es sonst meist nichts auf der Bühne, außer einem Tisch mit einer Flasche Champagner in der letzten Szene der Oper. In Senecas Haus sind ein paar Dutzend Bücher am Boden verstreut. Ein einziges Versatzstück wird verwendet: eine Badewanne, in dem sich mehrere Damen oder Herrn baden, und in der es allerdings ziemlich hoch her geht.

Einige ganz gute Ideen waren eingeflochten. Es begann damit, daß sich zu Beginn zwei Frauen um einen Platz in der 1. Parkett-Reihe auf Französisch streiten: eine elegante Dame in einem Lamé-Kleid und eine Klosterschwester. Es stellt sich rasch heraus, daß es sich um Fortuna und Virtù handelt, wenn die Dame italienisch zu singen beginnt "Deh, nasconditi, o Virtù". Weniger geschmackvoll war die homoerotische Szene zwischen Nerone und Lucano im 2. Akt in der Badewanne, die in einem Lustmord endet, denn Lucano wird danach von der Szene von den vier bodyguards (Tribunen und Konsulen) hinausgetragen. Carsens Sicht der Handlung ist natürlich vertretbar, doch nicht jedermanns Geschmack. Allerdings hatte dies nicht den besten Einfluß auf die musikalische Leitung von Rinaldo ALESSANDRINI, der vor einem Jahr eine wunderbare Aufführung von Alessandro Scarlattis "La Vergine del dolore" geleitet hatte. Die Verrohung der Sitten Poppeas und Nerones und die Distanzierung der Handlung bewirkte ein etwas trockenes Dirigat des Chefs des CONCERTO ITALIANO, das mit nur die zwei Theorben, einem Cello, Harfe und Cembalo kam und durch vier Mitglieder des Orchesters von Bordeaux verstärkt wurde, was mit ganzen neun Mann doch etwas dünn wirkte. Irgendwie kam die nötige dramatische Spannung der Musik nicht richtig auf.

Die Sänger waren durchwegs hervorragend und meisterten den nicht einfachen Stil des "cantar parlando" hervorragend. Karine DESHAYES konnte erstmals ihr Talent als Poppea voll zeigen. Die sympathische junge französische Mezzosopranistin war uns bereits mehrmals in kleinen und mittleren Rollen sehr angenehm aufgefallen. Sie konnte hier ihr ausgesprochen starkes Bühnentalent beweisen. Deshayes machte aus Poppea nicht die Luxusnutte, sondern eine sehr intensiv liebende, aber auch berechnende Frau, die sich nicht zu große Illusionen über Neros dauernde Leidenschaft und Treue hat. Stimmlich liegt ihr die Rolle ausgezeichnet, da sie sowohl die Höhen und Tiefen bestens beherrscht. Ihre hervorragend Diktion kam dem sehr poetischen Text sehr zu gute.

Als Nerone war Jeremy OVERDEN eine ideale Verkörperung des skrupellosen Tyrannen, der von Machtgier und sexueller Leidenschaft beherrscht wird. Der kultivierte Gesangsstil des englischen Tenors ist hier von großer Bedeutung und seine Beherrschung der Rolle äußerst eindrucksvoll. Ausgesprochen erfreulich war auch die Begegnung mit dem Ottone von Max-Emanuel CENCIC, nicht gerade die vorteilhafteste Rolle. Der junge Wiener Contra-Tenor entledigte sich sowohl gesanglich als auch darstellerisch ganz hervorragend der Situation des betrogenen Liebhabers, der sich schließlich mit Drusilla tröstet, die ihn aus der blöden Situation des Möchtegern-Mörders rettet. Diese Retterin war Jaël AZZARETTI, die nicht nur gut aussah, sondern auch mit hübscher Stimme, die in den tollpatschigen Ottone verliebte junge Frau sang.

Roberta INTERVENIZZI war als verstoßene Octavia ebenfalls ausgezeichnet. Die enttäuschte Kaiserin ist hier eine frühe Frauenrechtlerin. In ihrem ersten großen Monolog "Disprezzata regina" und noch mehr im Abschieds-Lamento "Eccomi quasi priva", wo sie Zeus als Zeugen anruft, war sie von erschütternder Tragik - obwohl sie mit gleich zwei läppischen Koffern ins Exil geschickt wurde. Der Philosoph Seneca wurde von Jérôme VARNIER, mit wohl klingendem Basso profundo bestens dargestellt, vor allem in der dramatischen Konfrontation mit Nerone, obwohl er als ländlicher Volksschullehrer verkleidet war. In seinem großen Todes-Monolog verkörperte er die ganze Verachtung des Stoikers für die Welt.

Als Arnalta gab Jean-Paul FOUCHECOURT ein Kabinettstück von wunderbar beherrschtem Gesang und umwerfender Komik. Unter den Comprimarii waren Daphné TOUCHAIS als Valletto und Alexandra RESZTIK als Damigella ein herziges junges Liebespaar, das seine ersten Experimente im Leben beginnt. Im Prolog war Ingrid PERRUCHE als Fortuna und Julie PASTUREAUD als Virtù sehr treffend, als sie sich um ihren Platz stritten. Der Amor von Khatouna GADELIA in dunkel-rotem Kostüm war fast ständig auf der Bühne und mischte sich flink in die Liebesszenen ein.

Als Octavias Amme war Martin ORO sehr treffend, besonders wenn er von Valletto verspottet wird. Er spielte auch einen der Freunde Senecas, ebenso wie Trevor SCHEUNEMANN, der auch den Todesboten Mercurio in seinem kurzen Auftritt eindrucksvoll gestaltete. Die kleinen Rollen des Lucano und des Libertus waren mit Luca DORDOLO und Fredrik AKSELBERG bestens besetzt; beide waren auch zu Beginn die Soldaten, die sich über Neros Lotterleben beklagten, aber auch Neros bodyguards (immer mit ans Ohr geklemmten Handys) und stellten mit Jean-Manuel CANDENOT die Senatoren und Tribunen dar, die Nero wie Sklaven behandelt.

Großer Applaus des ausverkauften Hauses. wig.