Die
drei überlieferten Opern Claudio Monteverdis, des Begründers der Oper
als Kunstgattung, sind seit der Züricher Monteverdi-Trilogie von Harnoncourt
und Ponnelle in den siebziger Jahren öfters zu sehen. Seit etwa zehn Jahren
ist "L'Incoronatione" besonders beliebt geworden und leider so ziemlich
das einzige Bühnenwerk Monteverdis, das überhaupt gespielt wird. "L'Incoronatione
di Poppea" des vierundsiebzigjährigen Maestro di Capella von San Marco
in Venedig ist der absolute Höhepunkt seines Schaffens. Leider haben nur
die Vokalstimmen die vier Jahrhunderte überlebt. Daher ist die Interpretation
des Orchesters dem Dirigenten überlassen.
In
dieser Reiseinszenierung des Glyndebourne Festival ist das Regiekonzept
des Kanadiers Robert CARSEN "Nichts Neues unter der Sonne", d. h. "Sex,
Macht und Geld", bzw. "Verrat, Lüge und Mord" (dixit Carsen). Carsen hat
das Geschehen resolut ins 21. Jahrhundert verlegt. Im überraschend "modernen"
Libretto von Giovanni Francesco Busenello nach des "Annalen" des Tacitus
beschweren sich bereits in der 1. Szene die beiden Soldaten, die vor Poppeas
Haus Wache halten müssen, über den liederlichen Lebenswandel ihres Herrn
Nerone. Michael LEVINE gab sich mit einem einfachen, in purpurrot gehaltenen,
optisch angenehmen und ansehbaren Dekor zufrieden, und die Sänger wurden
in heutige Kleidung gesteckt (Kostüme: Constance HOFFMAN).
Die
diese praktische Reiseinszenierung betreuenden Regie-Assistenten, Daniele
GUERRA und Christophe GAYRAL, hatten keine Mühe einen riesigen purpurroten
Samtvorhang, der nach dem Prolog vom Schnürboden fällt, in ein gigantisches
Kleid für Poppea zu verwandeln oder als eine über die ganze Bühne gebreitete
Matte in der Szene zwischen Poppea und Arnalta des 2. Akts zu verwenden.
Allerdings gab es sonst meist nichts auf der Bühne, außer einem Tisch
mit einer Flasche Champagner in der letzten Szene der Oper. In Senecas
Haus sind ein paar Dutzend Bücher am Boden verstreut. Ein einziges Versatzstück
wird verwendet: eine Badewanne, in dem sich mehrere Damen oder Herrn baden,
und in der es allerdings ziemlich hoch her geht.
Einige
ganz gute Ideen waren eingeflochten. Es begann damit, daß sich zu Beginn
zwei Frauen um einen Platz in der 1. Parkett-Reihe auf Französisch streiten:
eine elegante Dame in einem Lamé-Kleid und eine Klosterschwester. Es stellt
sich rasch heraus, daß es sich um Fortuna und Virtù handelt, wenn die
Dame italienisch zu singen beginnt "Deh, nasconditi, o Virtù". Weniger
geschmackvoll war die homoerotische Szene zwischen Nerone und Lucano im
2. Akt in der Badewanne, die in einem Lustmord endet, denn Lucano wird
danach von der Szene von den vier bodyguards (Tribunen und Konsulen) hinausgetragen.
Carsens Sicht der Handlung ist natürlich vertretbar, doch nicht jedermanns
Geschmack. Allerdings hatte dies nicht den besten Einfluß auf die musikalische
Leitung von Rinaldo ALESSANDRINI, der vor einem Jahr eine wunderbare Aufführung
von Alessandro Scarlattis "La Vergine del dolore" geleitet hatte. Die
Verrohung der Sitten Poppeas und Nerones und die Distanzierung der Handlung
bewirkte ein etwas trockenes Dirigat des Chefs des CONCERTO ITALIANO,
das mit nur die zwei Theorben, einem Cello, Harfe und Cembalo kam und
durch vier Mitglieder des Orchesters von Bordeaux verstärkt wurde, was
mit ganzen neun Mann doch etwas dünn wirkte. Irgendwie kam die nötige
dramatische Spannung der Musik nicht richtig auf.
Die
Sänger waren durchwegs hervorragend und meisterten den nicht einfachen
Stil des "cantar parlando" hervorragend. Karine DESHAYES konnte erstmals
ihr Talent als Poppea voll zeigen. Die sympathische junge französische
Mezzosopranistin war uns bereits mehrmals in kleinen und mittleren Rollen
sehr angenehm aufgefallen. Sie konnte hier ihr ausgesprochen starkes Bühnentalent
beweisen. Deshayes machte aus Poppea nicht die Luxusnutte, sondern eine
sehr intensiv liebende, aber auch berechnende Frau, die sich nicht zu
große Illusionen über Neros dauernde Leidenschaft und Treue hat. Stimmlich
liegt ihr die Rolle ausgezeichnet, da sie sowohl die Höhen und Tiefen
bestens beherrscht. Ihre hervorragend Diktion kam dem sehr poetischen
Text sehr zu gute.
Als
Nerone war Jeremy OVERDEN eine ideale Verkörperung des skrupellosen Tyrannen,
der von Machtgier und sexueller Leidenschaft beherrscht wird. Der kultivierte
Gesangsstil des englischen Tenors ist hier von großer Bedeutung und seine
Beherrschung der Rolle äußerst eindrucksvoll. Ausgesprochen erfreulich
war auch die Begegnung mit dem Ottone von Max-Emanuel CENCIC, nicht gerade
die vorteilhafteste Rolle. Der junge Wiener Contra-Tenor entledigte sich
sowohl gesanglich als auch darstellerisch ganz hervorragend der Situation
des betrogenen Liebhabers, der sich schließlich mit Drusilla tröstet,
die ihn aus der blöden Situation des Möchtegern-Mörders rettet. Diese
Retterin war Jaël AZZARETTI, die nicht nur gut aussah, sondern auch mit
hübscher Stimme, die in den tollpatschigen Ottone verliebte junge Frau
sang.
Roberta
INTERVENIZZI war als verstoßene Octavia ebenfalls ausgezeichnet. Die enttäuschte
Kaiserin ist hier eine frühe Frauenrechtlerin. In ihrem ersten großen
Monolog "Disprezzata regina" und noch mehr im Abschieds-Lamento "Eccomi
quasi priva", wo sie Zeus als Zeugen anruft, war sie von erschütternder
Tragik - obwohl sie mit gleich zwei läppischen Koffern ins Exil geschickt
wurde. Der Philosoph Seneca wurde von Jérôme VARNIER, mit wohl klingendem
Basso profundo bestens dargestellt, vor allem in der dramatischen Konfrontation
mit Nerone, obwohl er als ländlicher Volksschullehrer verkleidet war.
In seinem großen Todes-Monolog verkörperte er die ganze Verachtung des
Stoikers für die Welt.
Als
Arnalta gab Jean-Paul FOUCHECOURT ein Kabinettstück von wunderbar beherrschtem
Gesang und umwerfender Komik. Unter den Comprimarii waren Daphné TOUCHAIS
als Valletto und Alexandra RESZTIK als Damigella ein herziges junges Liebespaar,
das seine ersten Experimente im Leben beginnt. Im Prolog war Ingrid PERRUCHE
als Fortuna und Julie PASTUREAUD als Virtù sehr treffend, als sie sich
um ihren Platz stritten. Der Amor von Khatouna GADELIA in dunkel-rotem
Kostüm war fast ständig auf der Bühne und mischte sich flink in die Liebesszenen
ein.
Als
Octavias Amme war Martin ORO sehr treffend, besonders wenn er von Valletto
verspottet wird. Er spielte auch einen der Freunde Senecas, ebenso wie
Trevor SCHEUNEMANN, der auch den Todesboten Mercurio in seinem kurzen
Auftritt eindrucksvoll gestaltete. Die kleinen Rollen des Lucano und des
Libertus waren mit Luca DORDOLO und Fredrik AKSELBERG bestens besetzt;
beide waren auch zu Beginn die Soldaten, die sich über Neros Lotterleben
beklagten, aber auch Neros bodyguards (immer mit ans Ohr geklemmten Handys)
und stellten mit Jean-Manuel CANDENOT die Senatoren und Tribunen dar,
die Nero wie Sklaven behandelt.
Großer
Applaus des ausverkauften Hauses. wig.
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