Benjamin
Britten verwendet in seinen Libretti meist sehr umstrittene Themen. Pazifist,
Kriegsdienstverweigerer und bekennender Homosexueller war er immer ein
Außenseiter. Erst als er bereits berühmt war, vertonte Britten "The Turn
of the Screw", obwohl die Novelle von Henry James ihn seit über zwanzig
Jahren begleitete. Er bestellte das Libretto erst 1953 von Myfanwy Piper
und bekam es im März 1954. Sechs Monate später wurde die zweiaktige Oper
in der La Fenice uraufgeführt. Das Thema ist sehr heikel, die Hörigkeit
von zwei Kindern gegenüber zwei "Phantomen" und spielt ständig zwischen
Realität und Traum, mit sexuellen Untertönen. Musikalisch ist diese drückende,
morbide Atmosphäre der Handlung durch die Verwendung eines Themas mit
fünfzehn Variationen noch verstärkt, denn jeder Szene entspricht eine
Variation und steigert die Spannung, parallel mit der Handlung. Das Thema
- allerdings kein wirklicher Ohrwurm - wird in der 1. Szene, unmittelbar
nach dem kurzen Prolog pizzicato exponiert.
Die
Besetzung der Oper ist äußerst schwer, denn neben ausgezeichneten Sänger-Schauspielern,
müssen die zwei Kinder nicht nur ausgezeichnete Sänger, sondern auch sehr
intensive Darsteller sein. Das kleine Ensemble von dreizehn Instrumenten
und das Fehlen tiefer Stimmen (vier Soprane, ein Mezzo, ein Tenor) unterstreicht
die hysterische Zuspitzung der Konfrontation.
Die
Direktion der Oper in Bordeaux zeigte erheblichen Mut, dieses schwierige
Werk als erste Eigenproduktion der Saison zu bringen. Die musikalische
Leitung wurde Jane GLOVER anvertraut, einer großen Kennerin von Brittens
Werk und der englischen Musik ganz allgemein und in Bordeaux ein gern
gesehener Gast. Sie zeigte sich der schwierigen Aufgabe hervorragend gewachsen.
Denn die dreizen Solisten des ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE spielten
einfach großartig und wurden zum Schluß-Beifall auf die Bühne geholt!
Die
Sänger waren ohne Ausnahme erstklassig. Die tragende Rolle ist die Gouvernante
von Mireille DELUNSCH, die hier ein neues eindrucksvolles Beispiel ihrer
großen Kunst gab. Ihr gut geführter, strahlender Sopran kommt hier voll
zur Geltung. Ihre psychologische Ausleuchtung der Rolle ist beeindruckend.
Daß sie außerdem eine bildschöne Frau ist, gibt der Verstellung noch zusätzliche
Spannung.
Völlig
erschütternd war die Leistung der beiden Kinder. Der Miles des dreizehnjährigen
Louis Alexander DÉSIRÉ ist einfach umwerfend: er singt mit perfekter Musikalität
und glockenreinem Sopran die äußerst schwierige Rolle. Er spielt aber
auch mit großer Intensität und Glaubwürdigkeit den psychologisch schwierigen
Fall: "I am bad", sagt er nach dem "Malo"-Song. Das geht unter die Haut!
Die Schwester Flora singt und spielt die sechszehnjährige Morgane COLLOMB
mit ebensolcher musikalischer und szenischer Sicherheit, nur etwas mehr
aufmüpfig.
Als
einziger Mann und Drahtzieher der ganzen Geschichte war Paul AGNEW als
Peter Quint, der auch den kurzen Prolog sang, völlig glaubwürdig, ein
schwieriges Unternehmen, wenn man weiß, daß die Rolle für Peter Pears,
Brittens Lebenspartner, geschrieben wurde. Sein perfekt geführter hoher
Tenor und sein gerieben-intelligentes Spiel gibt der morbiden Rolle das
Relief des perversen Kriminellen. Mrs. Grose war in den Händen der verdienten
Hanna SCHAER. Um die polyglotte Schweizerin kommt heute kein französisches
Opernhaus mehr herum. Denn diese intelligente und hoch musikalische Sängerin
ziseliert die meist "häßlichen Entlein" der Mezzoliteratur mit perfekter
Selbstverständlichkeit in so ziemlich jeder Sprache. Auch hier machte
sie aus der verschreckten Haushälterin ein Kabinettstück. Für die kleine
Rolle des ersten Opfers Quints, die frühere Gouvernante Miss Jessel, wurde
eine der besten französischen dramatischen Sopranistinnen engagiert, Cécile
PERRIN, hier wirklich eine Überbesetzung.
Ein
besonderer Verdienst der fabelhaften Aufführung kommt dem Regisseur und
Szenographen Dominique PITOISET zu, dem Direktor des Theatre National
de Bordeaux, der hier seine erste Opern-Inszenierung in loco zeichnete.
Die durchdachte Präzision und Personenführung dieser Inszenierung ist
einfach erschütternd, vor allem die der beiden Kinder. Ein einfaches Zimmer,
mit typisch englischem Mobiliar, führt auf eine Veranda und einen angedeuteten
Garten und erlaubt verschiedene Auftritte. Die Kostüme von Nathalie PRATS
waren kleidsam und einfach. Christophe PITOISET beleuchtete ausgezeichnet
dem Regisseur folgend. Sicher eine der besten und interessantesten Inszenierungen
der letzten Jahre in Frankreich.
Das
in Bordeaux normalerweise eher zurückhaltende Publikum bereitete allen
Künstlern einen Triumph: es gab zwölf Vorhänge am Schluß! Besonders die
beiden Kinder, Mireille Delunsch, Paul Agnew und Dominique Pitoiset wurden
sehr gefeiert. wig.
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