"THE TURN OF THE SCREW" - 24. November 2008

Benjamin Britten verwendet in seinen Libretti meist sehr umstrittene Themen. Pazifist, Kriegsdienstverweigerer und bekennender Homosexueller war er immer ein Außenseiter. Erst als er bereits berühmt war, vertonte Britten "The Turn of the Screw", obwohl die Novelle von Henry James ihn seit über zwanzig Jahren begleitete. Er bestellte das Libretto erst 1953 von Myfanwy Piper und bekam es im März 1954. Sechs Monate später wurde die zweiaktige Oper in der La Fenice uraufgeführt. Das Thema ist sehr heikel, die Hörigkeit von zwei Kindern gegenüber zwei "Phantomen" und spielt ständig zwischen Realität und Traum, mit sexuellen Untertönen. Musikalisch ist diese drückende, morbide Atmosphäre der Handlung durch die Verwendung eines Themas mit fünfzehn Variationen noch verstärkt, denn jeder Szene entspricht eine Variation und steigert die Spannung, parallel mit der Handlung. Das Thema - allerdings kein wirklicher Ohrwurm - wird in der 1. Szene, unmittelbar nach dem kurzen Prolog pizzicato exponiert.

Die Besetzung der Oper ist äußerst schwer, denn neben ausgezeichneten Sänger-Schauspielern, müssen die zwei Kinder nicht nur ausgezeichnete Sänger, sondern auch sehr intensive Darsteller sein. Das kleine Ensemble von dreizehn Instrumenten und das Fehlen tiefer Stimmen (vier Soprane, ein Mezzo, ein Tenor) unterstreicht die hysterische Zuspitzung der Konfrontation.

Die Direktion der Oper in Bordeaux zeigte erheblichen Mut, dieses schwierige Werk als erste Eigenproduktion der Saison zu bringen. Die musikalische Leitung wurde Jane GLOVER anvertraut, einer großen Kennerin von Brittens Werk und der englischen Musik ganz allgemein und in Bordeaux ein gern gesehener Gast. Sie zeigte sich der schwierigen Aufgabe hervorragend gewachsen. Denn die dreizen Solisten des ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE spielten einfach großartig und wurden zum Schluß-Beifall auf die Bühne geholt!

Die Sänger waren ohne Ausnahme erstklassig. Die tragende Rolle ist die Gouvernante von Mireille DELUNSCH, die hier ein neues eindrucksvolles Beispiel ihrer großen Kunst gab. Ihr gut geführter, strahlender Sopran kommt hier voll zur Geltung. Ihre psychologische Ausleuchtung der Rolle ist beeindruckend. Daß sie außerdem eine bildschöne Frau ist, gibt der Verstellung noch zusätzliche Spannung.

Völlig erschütternd war die Leistung der beiden Kinder. Der Miles des dreizehnjährigen Louis Alexander DÉSIRÉ ist einfach umwerfend: er singt mit perfekter Musikalität und glockenreinem Sopran die äußerst schwierige Rolle. Er spielt aber auch mit großer Intensität und Glaubwürdigkeit den psychologisch schwierigen Fall: "I am bad", sagt er nach dem "Malo"-Song. Das geht unter die Haut! Die Schwester Flora singt und spielt die sechszehnjährige Morgane COLLOMB mit ebensolcher musikalischer und szenischer Sicherheit, nur etwas mehr aufmüpfig.

Als einziger Mann und Drahtzieher der ganzen Geschichte war Paul AGNEW als Peter Quint, der auch den kurzen Prolog sang, völlig glaubwürdig, ein schwieriges Unternehmen, wenn man weiß, daß die Rolle für Peter Pears, Brittens Lebenspartner, geschrieben wurde. Sein perfekt geführter hoher Tenor und sein gerieben-intelligentes Spiel gibt der morbiden Rolle das Relief des perversen Kriminellen. Mrs. Grose war in den Händen der verdienten Hanna SCHAER. Um die polyglotte Schweizerin kommt heute kein französisches Opernhaus mehr herum. Denn diese intelligente und hoch musikalische Sängerin ziseliert die meist "häßlichen Entlein" der Mezzoliteratur mit perfekter Selbstverständlichkeit in so ziemlich jeder Sprache. Auch hier machte sie aus der verschreckten Haushälterin ein Kabinettstück. Für die kleine Rolle des ersten Opfers Quints, die frühere Gouvernante Miss Jessel, wurde eine der besten französischen dramatischen Sopranistinnen engagiert, Cécile PERRIN, hier wirklich eine Überbesetzung.

Ein besonderer Verdienst der fabelhaften Aufführung kommt dem Regisseur und Szenographen Dominique PITOISET zu, dem Direktor des Theatre National de Bordeaux, der hier seine erste Opern-Inszenierung in loco zeichnete. Die durchdachte Präzision und Personenführung dieser Inszenierung ist einfach erschütternd, vor allem die der beiden Kinder. Ein einfaches Zimmer, mit typisch englischem Mobiliar, führt auf eine Veranda und einen angedeuteten Garten und erlaubt verschiedene Auftritte. Die Kostüme von Nathalie PRATS waren kleidsam und einfach. Christophe PITOISET beleuchtete ausgezeichnet dem Regisseur folgend. Sicher eine der besten und interessantesten Inszenierungen der letzten Jahre in Frankreich.

Das in Bordeaux normalerweise eher zurückhaltende Publikum bereitete allen Künstlern einen Triumph: es gab zwölf Vorhänge am Schluß! Besonders die beiden Kinder, Mireille Delunsch, Paul Agnew und Dominique Pitoiset wurden sehr gefeiert. wig.