Henry
Purcell (1659-1695) hat zwar über vierzig Bühnenmusiken komponiert, aber
nur eine Oper, die wahrscheinlich 1689 in Josias Priests' School in Chelsea
von jungen Mädchen uraufgeführt wurde. Man kann das fünfzigminütige Werk
als die erste englische Oper überhaupt ansehen - wenn man von John Blows
verschollenen "Venus and Adonis" absieht. "Dido and Aeneas" verwendet
außer den klassischen Arien, Duetten und Chören auch ariose Rezitative,
aber keinen gesprochenen Text.
Die
Produktion, die die Saison in Bordeaux eröffnete, wurde aus Nancy importiert.
Yannis KOKKOS zeichnete für die sehr gelungene Inszenierung, der wie üblich
auch Bühnenbilder und Kostüme machte. Die von Kokkos bis ins kleinste
Detail ausgeklügelten Lichteffekte, die die Sänger ungewöhnlich herausstreichen,
sind sehr eindrucksvoll. In Bordeaux wurde die Produktion von seiner Assistentin
Emanuelle BASTET betreut.
Wie
vor einigen Jahren in einer Oper um die gleiche Geschichte, "Les Troyens"
von Berlioz im Châtelet, zerbricht man sich den Kopf, wie der Regisseur
das macht. Vor einer "klassischen" Ruinenlandschaft "inkrustiert" der
Regisseur kleine Details und Szenen. was besonders in der Hexen-Szene
(2. Akt) gelungen ist, wo die Zauberin zu fliegen scheint.
Die
Kostüme der Hexen (mit Stehkragen!) sind pechschwarz, sonst verwendet
der griechische Regisseur neben weiß und schwarz, seine Lieblingsfarben
rot und gold. Dido und ihr Hof sind in diesen rostroten Roben mit Halskrausen
passend gekleidet, später in weiß. Aeneas in goldener Rüstung - wie in
Cherubinis "Medée" vor einigen Jahren in Toulouse und Châtelet - und die
vom Schnürboden herabhängenden ebenso goldenen Schiffchen der trojanischen
Flotte geben dem Bild zusätzliche klassische Würde.
Der
Beleuchter Patrice TROTTIER folgte den Anweisungen des Regisseurs vollkommen
und erreichte die gewohnte Perfektion der Kokkos-Produktionen. Richild
SPRINGER zeichnete für die choreographische Umsetzung der Umzüge und erschien
als Todesengel am Ende beider Werke.
Als
Dido war Mireille DELUNSCH der tragischen Figur überraschend gut gewachsen.
Stimmlich ausgezeichnet, wußte sie auch dem dramatischen Aspekt der Rolle
überzeugend Rechnung zu tragen. Ihr "Remember me!" im Schlußgesang war
herzzerreißend, wenn sie buchstäblich zusammensackt. Was ein guter Regisseur
machen kann! Ihr zur Seite war die junge Kimy MCLAREN als Didons Vertraute
Belinda (ganz in weiß) bestens am Platze. Ihr frischer Sopran war ein
guter Kontrast mit der tragischen Figur der Titelheldin.
Der
"fliegenden" Zauberin lieh Catherine WYN-ROGERS ihren ausgezeichnet geführten
Mezzosopran. Sie war von den Hexen Colette GALTIER und Arlette DA COSTA
passend unterstützt. Sehr beeindruckend war der Aeneas des jungen Thomas
DOLLÉ, der mit schönem Kavaliersbariton dem trojanischen Helden Format
verlieh und ausgezeichnet spielte.
Der
dreizehnjährige Louis-Alexandre DÉSIRÉ sang den falschen Merkur sehr hübsch
mit glockenreinem Sopran. Bruno COMPARETTI, den wir schon in viel größeren
Rollen gehört haben, sang mit seinem schönen Tenor das Trinklied des Seemanns
im 3. Akt. Isabelle LACHÈZE gab Belinda passend Antwort im Ritornell des
2. Akts.
Als
Vorspann wurde Brittens späte Kantate (1973) "Phaedra" gegeben, eine andere
tragische Frauenfigur, die im Selbstmord endet, ähnlich Schönbergs "Erwartung".
Nach Ausschnitten aus Racines "Phèdre" von Robert Lowell auf Englisch
adaptiert, beschreibt das kurze Werk die Emotionen der Phèdre, die mit
Hippolyt, dem Sohn ihres Gatten Theseus die Ehe gebrochen hatte. Der sehr
emotionale und dramatische Text wurde von Britten mit einer ungemein packenden,
fast atonalen Musik bedacht. Für Janet Baker geschrieben, folgte Catherine
Wyn-Rogers ihrer berühmten Vorgängerin hervorragend; die englische Sängerin
zog sich brillant aus der Affäre. In einer roten Robe und vor einer von
rechts schräg beleuchteten schwarzen und roten Wand wußte sie den intensiven
Text glaubhaft darzustellen und ihren wunderschönen Mezzo gut zu verwenden.
Die
musikalische Leitung der Aufführung war hervorragend und lag in den Händen
von Jaap ter LINDEN. Der niederländische Cellist, Musikologe und Dirigent
leitete das ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE mit sicherem Stilgefühl,
bei Purcell "verstärkt" durch eine Theorbe und ein Cembalo. Der ausgezeichnete
Chorleiter Jacques BLANC hatte - wie gewohnt - den CHOEUR DE L'OPÈRA NATIONAL
DE BORDEAUX hervorragend einstudiert.
Ein
prachtvoller Abend, vom Premieren-Publikum mit stürmischem Applaus gefeiert.
wig.
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