Kaum
eine Oper ist passender für das 1780 eröffnete neoklassische Grand Théâtre
in Bordeaux als der 1781 in München uraufgeführte "Idomeneo", in dem Mozart
die neue "Sturm und Drang" Operndramatik auf die Bühne stellte und damit
die Opera seria total umkrempelte, trotz des eher hinkenden Librettos.
Alle
paar Jahre erscheint ein Sänger, der eine Rolle ideal verkörpert und damit
einen Maßstab für Jahrzehnte setzt. Wer unter den älteren Jahrgängen erinnert
sich nicht an die Salome der Welitsch, die Lucia der Callas, Gobbis Falstaff,
Hotters Wotan, George Londons Boris oder Amfortas. Oder heute Netrebkos
Violetta, Villazons Werther. Kobie van RENSBURG scheint nun diese Idealverkörperung
für die Rolle des Idomeneo zu sein. Nach seiner umwerfenden Darstellung
des Kreter-Königs im vergangenen November in Straßburg, ist er nun an
der französischen Süd-West-Küste ans Land gekrochen, bevor er dies im
Juli am Ufer des Manzanares in Madrid wiederholt. Der südafrikanische
Tenor hat diese gesanglich und psychologisch ungemein schwierige Rolle
in den letzten Jahren derartig integriert und die hintergründigen Facetten
des vom Fatum verfolgten Kreter-Königs perfektioniert, daß man bei jedem
seiner Auftritte in dieser Rolle das Gefühl hat, so etwas nie mehr wieder
zu erleben. "Fuor del mar" war eine Sternstunde emotioneller Intensität
und gesanglicher Perfektion.
Der
griechische Regisseur Yannis KOKKOS, der auch immer für seine Ausstattung
zeichnet, hat seinen Homer im Blut und hat uns einige phänomenale Produktionen
beschert, u. a. von Berlioz' "Les Troyens" (Châtelet) oder Cherubinis
"Médée" (Toulouse und Châtelet). Einzig interveniert noch der ausgezeichnete
Beleuchter Patrice TROTTIER. Der Regisseur hat die düstere Handlung vor
einer Projektion des aufgepeitschten Meers angelegt, bisweilen verschleiert
von einer Sonnenscheibe auf einem Zwischenvorhang, nach Bedarf mehr oder
weniger verdeckt. Fünf riesige Quader-Säulen auf Rollen konnten den Platz
um einen Sänger einengen, was eine noch bedrückendere Wirkung hatte, wie
z. B. in Idamantes Arie "Il padre adorato ritrovo e lo perdo" am Ende
des 1. Akts. Die Kostüme sind diesmal im Stil von 1880, lange Gehröcke
für die Herren, lange schwarze Kleider für die Damen, Ilia in weiß, Elettra
in rostbraun.
Der
Regisseur hat sichtlich auch die Führung der Sänger sehr in die Hand genommen.
Besonders Ilia ist hier mehr präsent als üblich, nicht das arme Opferlamm,
sondern die würdige Tochter des Priamos, eine stolze Trojanerin. Henriette
BODE-HANSEN vermittelte diesen Stolz, nicht nur in der Arie "Zefiretti
lunghieri", sondern vor allem in der Szene zu Beginn des 2. Akts mit Idomeneo
"Sei il padre perdei". Als Idamante gab Jennifer HOLLOWAY mit schönem
runden Mezzo der Rolle Glaubwürdigkeit. Kokkos hatte hier auch sichtlich
eingegriffen, denn Hosenrollen in der Opera seria sind ja nicht immer
glaubhaft - ein Grund mehr, weshalb die Wiener Fassung mit Idamante als
Tenor vorzuziehen ist.
Als
Elettra hatte die attraktive junge Südafrikanerin Elza van den HEEVER
sehr großen Erfolg, eine riesige Naturstimme, die zwar in der Mittellage
etwas nasal klingt, aber den halsbrecherischen Höhen völlig gewachsen
war. Außerdem hatte sie das schönste Kostüm. Etwas vernachlässigt schien
diesmal die Rolle des Arbace, des Vertrauten Idomeneos, dem Donát HAVÁR
mit etwas engem Tenor Profil gab, vor allem im prophetischen Arioso "Sventurata
Sidon!".
Philippe
DO als Gran Sacerdote des Neptun war sehr beeindruckend, besonders wenn
er Idomeneo in den Tempel kommandierte: "Al tempio, Sire, al tempio."
Als Voce, die das lieto fine ankündigt, war Jérôme VARNIER rolleneckend.
Dasselbe gilt für die Chormitglieder Wha Jin LEE, Maryelle HOSTEIN, José-Louis
VICTORIA und Jean-Philippe FORCADE, die die Kreterinnen und die Trojaner
sangen.
In
"Idomeneo" ist der Chor sehr wichtig. Der CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE BORDEAUX
war von Jacques BLANC - wie gewohnt - bestens einstudiert worden. Die
große Überraschung war aber Karen KAMENSEK am Pult des ORCHESTRE NATIONAL
BORDEAUX-AQUITAINE. Die junge Amerikanerin, die ohne Stab dirigiert, wußte
eine sehr straffe und animierte Interpretation durch zu halten, bereits
in der martialischen Ouvertüre bis zum triumphalen Schluß, mit besonderen
Akzenten in den Arien und Ensembles. Ein Namen, den man sich merken sollte.
Es
war nur unklar, weshalb nach der Proklamierung des neuen Königspaars ein
etwa fünfzehn Minuten langes orchestrales Divertimento auf offener Bühne
gespielt wurde. Bei der Münchener Premiere (Karneval 1781) ist am Ende
ein Ballett gegeben worden, das ich trotz einigen Dutzend Produktionen
noch nie gesehen habe. Simon Rattle soll es komplett (über eine Stunde!)
in Glyndebourne gespielt haben - zum Leidwesen des Publikums. Kokkos wußte
damit sichtlich nicht viel anzufangen, Idamante und Ilia marschierten
zwischen den sieben Chor-Reihen, ohne sich zu kreuzen. Völlig unnötig,
wie ein Haar in der Suppe!
Ganz
großer Applaus für alle Künstler, trotz des etwas hinkenden Schlusses.
wig.
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