Verdis
"Maskenball" als eine Allegorie von Macht und Verrat in ein heißes Land
der dritten Welt zu verpflanzen, war die Idee des Regisseurs Carlos WAGNER.
Natürlich lag für den in Wien oft tätigen Regisseur aus Venezuela eine
militärische Bananenrepublik Lateinamerikas nahe, doch ohne direkte Anspielungen.
Die Idee ist nicht schlecht, und Wagner führte sie konsequent durch: der
kaltblütige, kalkulierende Renato ist die zentrale Figur, während der
eitle, ziemlich unreife, zügellose Riccardo nur sein Spielzeug ist. Nur
Amelia bleibt die reine Unschuld, was etwas kurz gesehen ist. Die Chöre
auf Riccardos Glorie wurden als politische Propaganda gezeigt, die auf
einer Tribüne aufgestellt mit Klappkarten flächendeckende Bilder produzierten,
wie es halt in einer richtigen Diktatur ist. Die vielen Ventilatoren attestierten
die tropische Atmosphäre. Die allgegenwärtige Soldateska trug zu dem drückenden
Tropen-Ambiente von Verschwörung und Unterdrückung bei. Riccardos Auftritte
wurden auch immer vom staatlichen Fernsehen aufgezeichnet.
Die
einfachen, bewußt etwas schäbigen Bühnenbilder von Rifail AJDARPASIC waren
sehr passend. Mehrere riesige Behälter mit tropischen Pflanzen hingen
vom Schnürboden in verschiedenen Höhen. In der Szene am Galgenberg landeten
sie auf dem Bühnenboden und wurden zum Dschungel. Die Kostüme von Hervé
POYDOMENGE waren phantasievoll. Riccardo war in eine pompöse weiße Marine-Uniform
mit vielen Orden gekleidet, Renato trug eine dezente tropische Kaki-Uniform,
Amelia ein luftiges rosa Kleid, Tom und Sam waren als FARC oder Tutamaros
(mit Kalaschnikov) verkleidet. Beim Schlußball tauchten die Verschwörer
in Ku-Klux-Klan Kostümen auf. Die entsprechende Beleuchtung besorgte Christophe
PITOISET.
Ausgesprochen
gelungen war die Ulrica-Szene, eine richtige Voodoo-Zeremonie vor einem
kitschigen Marien-Altar, mit totem Hühnern, Totenköpfen und Rauch, weiters
zwei Hexen, die in großen Mörsern Kräuter zerstampften. Was nicht ganz
gelang, war die Szene am Galgenberg, trotz der Verlegung in den Urwald.
Es war überflüssig und lenkte vom Kern der Handlung ab, daß zu Beginn
des Akts die Militärs indianische Terroristen jagten und mit Genickschuß
liquidierten. Außerdem hat die Dramaturgie hier nicht geklappt, denn die
fehlende Verschleierung Amelias ließ die Szene flach fallen. Eher unverständlich
war, weshalb zu Beginn der Eingangs-Chor hinter dem Katafalk Riccardos
stattfindet. Genau wie der Schluß-Chor am Ende der Oper.
In
der musikalisch ausgezeichneten Aufführung klang das ORCHESTRE DE BORDEAUX
AQUITAINE zu Beginn zwar etwas hölzern, aber Paolo OLMI am Pult brachte
bald den richtigen Wind in das Ganze und musizierte mit richtiger italianità
die schwelgende Partitur, mit rubati an den Stellen, wo sie sein sollen,
und ohne zu schleppen oder zu hetzen. Prachtvoll! Der CHOR war von Jacques
BLANC ausgezeichnet einstudiert worden.
Die
beiden in Bordeaux sehr beliebten Damen, die hier schon mehrmals zusammen
gesungen haben u.a. vor zwei Jahren in "Aïda", waren sehr überzeugend.
Hui HE als Amélia ist ein richtiger Verdi-Sopran, voll tönend, mit herrlichen
Höhen und schönen piani. Ihr Spiel war auch passend für die etwas weinerliche
Rolle. Man kann allerdings hoffen, daß die chinesische Sopranistin ihre
italienische Diktion verbessert. Elena
MANISTINA als Ulrica brachte ihren warmen, klangvollen Mezzo voll zur
Geltung. Eine prachtvolle Stimme und ein eindrucksvolles Bühnentalent.
Sie spielte die Voodoo-Priesterin ganz ausgezeichnet, an einer riesigen
Zigarre ziehend. Auch ihr Italienisch vertrüge Verbesserung.
Der
australische Tenor Julian GAVIN hatte uns hier in Bordeaux vor einigen
Jahren als Rodolfo in Verdis "Luisa Miller" beeindruckt. Die Stimme ist
seither etwas schwerer geworden, obwohl er nach wie vor die strahlende
Höhe und überzeugende Bühnenpräsenz besitzt. Doch Riccardo wird er nicht
mehr lange singen können. Er wird sicher in ein paar Jahren ein guter
Otello sein. James WESTMAN, der den Renato sang, ist ein besonderer Fall.
Anfangs war er ziemlich farblos - vermutlich von der Regie so gewollt.
Er entpuppte sich dann als intensiver, verzweifelter Schauspieler und
hervorragender Verdi-Bariton, vor allem in seiner großen Rachearie "Eri
tu che macchiavi quell'anima" vor der Verschwörerszene.
Daphné
TOUCHAIS war ein kecker Page Oscar in Baggy-Jeans und Basketball Kappe.
Daß sie ausgezeichnet singt und bildhübsch ist, stört nicht. Die beiden
Verschwörer Sam und Tom wurden von Jérôme VARNIER und Antoine GARCIN sehr
gut dargestellt. Dem Seemann Silvano gab David GROUSSET stimmfrohen Ausdruck
über die freudige Überraschung seiner Beförderung. Als Richter war Chormitglied
Pierre GUILLOU passend.
Das
Publikum feierte die Künstler stürmisch, vor allem die beiden Damen, aber
das Regie-Team erntete einige Buhs. wig.
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