"DIE DREIGROSCHENOPER" - 3. Mai 2012

Wen es häufiger in die Hauptstadt verschlägt, dem mag der Name Robert WILSON bekannt sein; ich betrat mit dieser Dreigroschenoper komplettes Neuland. Während der Vorstellung fand ich seine Inszenierung interessant, aber beim anschließenden Darüber-Nachdenken bemerkte ich erst, wie gut sie mir eigentlich gefallen hat.

Der Haupteinfluß des Stücks ist sicherlich die Pantomime. Es gibt ausnehmend wenige Requisiten und kaum Bühnenbild, aber wozu tatsächlich Gegenstände auf die Bühne bringen, wenn man deren Anwesenheit auch mit Gesten und Soundeffekten deutlich machen kann? So läßt beispielsweise Brown ein paar mitgebrachte Handschellen auf den Boden fallen. Eigentlich ist da nichts, aber aus den Lautsprechern tönt das lange Geräusch einer zu Boden rasselnden Kette. Leider wiederholen sich einige dieser Spiele mehrmals (im Falle der Geldübergabe zu oft).

Die Schauspieler trugen samt und sonders schwarz, mit Ausnahme Pollys bei ihrer Hochzeit. Die Gesichter waren komplett weiß geschminkt, mit deutlich hervorgehobenen Lippen und Augenbrauen, was die größtenteils wunderbare Mimik der Darsteller unglaublich gut zur Geltung brachte. Und Mimik war ein mehr als wichtiger Bestandteil dieser Aufführung. Durch die recht einheitliche Kleidung wird den Figuren die Persönlichkeit mehr als ein wenig genommen. Man könnte sagen, daß Wilson hier Typen und nicht einzelne Personen darstellen wollte.

Viele Szenen wirkten aufwendig choreographiert; mehrere davon ließen mich an Spieluhren oder Aufziehfiguren denken, so zum Beispiel die Szene, in der Smith Macheath und Lucy mehrere Runden um die Zelle "jagt" und sich alle Figuren wie Roboter bewegen. Oder auch der Anfang, in dem alle Figuren während der Moritat (die übrigens anfangs so verzerrt wurde, daß sie wie eine alte Aufnahme klang) nacheinander über die Bühne tänzelten.

Stellenweise kommt bei dieser clownesken Inszenierung aber doch die Frage auf, was wohl Brecht dazu gesagt hätte. Während der erste Eindruck war, daß die politische "Botschaft" des Stücks ja wohl etwas zu kurz kommt, fiel beim genaueren Hingucken auf, daß Wilson sich für Betonung durch Weglassen entschieden hatte. Mit anderen Worten, wenn die Szene wirklich ernst wurde, dann war es auf einmal vorbei mit allen Späßen. Die Darsteller standen stocksteif und sprachen mehr oder weniger direkt zum Publikum.

Das Ende gewinnt an Absurdität hinzu in dem der reitende Bote als Einziger Farbe trägt und zwar einen Umhang, der dem Material des Bühnenvorhangs auffällig ähnlich sieht. Das ist doch mal ein Bruch der vierten Wand einer anderen Art…

Nun ist das Berliner Ensemble ein Schauspielhaus, und der Gesang war dementsprechend; größtenteils anständig, aber kaum herausragend. Auf der anderen Seite wäre klassischer Operngesang in Brecht-Stücken auch nicht unbedingt angebracht. Ich werde deshalb nicht allzu weit darauf eingehen, möchte nur Mrs. Peachum erwähnen, die sich durch den schiefsten Gesang des Abends auszeichnete und dabei leider stellenweise jenseits der Grenze des Erträglichen lag.

Die Darstellung der Polly durch Stefanie STAPPENBECK konnte mich nicht weiter beeindrucken. Sie sprach mit viel zu hoher Stimme, spielte völlig überdreht und bewegte sich dabei ausschließlich wie eine Aufziehfigur. Weder lustig noch sonst was.

Anaa GRAENZER als Lucy gefiel mir da schon besser, vielleicht auch, weil sie als Einzige an dem Abend nicht völlig überzeichnet dargestellt wurde.

Aus Macheaths Bande fielen vor allem Martin SCHNEIDER (Mathias) und Boris JACOBY (Jakob) auf und das nicht nur, weil sie die größten Rollen hatten. Die beiden ergänzten sich auf der Bühne gut und ihr Zusammenspiel war oft einfach lustig zu beobachten.

Mrs Peachum (Traute HOESS) stand darstellerisch etwas im Schatten ihres Gatten, auch wenn sie sich alle Mühe gab, bei seiner Gestik und Mimik mitzuhalten.

Tiger Brown (Axel WERNER) trat auf als eine Mischung aus Claude Frollo, frisch aus dem Disney-Film, und einem Totengräber aus den Lucky Luke-Comics. Sein erster Auftritt war seltsam unauffällig, dafür blieb mir der bettelnde, flehende Brown der letzten zwei Drittel sehr stark in Erinnerung. Wie kann ein Mensch mit so einer tiefen Stimme eigentlich so sehr nach einem Kind klingen, das was Dummes angestellt hat?

Filch (Georgios TSIVANOGLOU) war wohl als der Clown des Abends gedacht; mit abenteuerlicher Frisur und extremer Leibesfülle. Es fehlten nur noch die zu großen Schuhe. Seine Darstellung glich der eines Pantomimen noch am stärksten; auch saß er gegen Ende der Pause auf der Bühne und schien die Zuschauer zu dirigieren.

Stefan KURT spielte einen durchaus amüsanten Mackie Messer mit leicht quätschiger Stimme. Hier fiel mir vor allem auf, wie Kurt zwischen ernsten und komischen Szenen trennte, in dem er einfach mal einen Halbton tiefer sprach. Man darf ihn auch als den besten Sänger des Abends bezeichnen.

Angela WINKLER spielte die Spelunkenjenny unter einem Aspekt, der mir bisher noch nicht begegnet, nämlich alt und verbraucht. Bleich wie der Tod, mit seltsam dünner Stimme, aber ständig kichernd. Ihr Gesang war eher als Wimmern zu bezeichnen, aber das paßte richtig gut dazu.

Der überzeugendste Darsteller des Abends war jedoch sicher Jürgen HOLTZ als Peachum. Er zeichnete sich durch eine einfach unglaubliche Mimik aus, und sein vor Ekel verzogenes Gesicht wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben.

Das DREIGROSCHENORCHESTER, das anscheinend nicht dirigiert werden muß (musikalische Leitung: Hans-Jörn BRANDEBURG und Stefan RAGER, die beide beide im Orchester mitspielen), untermalte den Abend anständig und ohne sonderlich positiv oder negativ aufzufallen.

Wie eingangs gesagt hat es ein wenig Nachdenken gebraucht, bis mir einige der guten Ideen der Inszenierung tatsächlich aufgefallen sind und so richtig gut hat mir das gesamte Stück erst im Nachhinein gefallen. NG