Wen
es häufiger in die Hauptstadt verschlägt, dem mag der Name Robert WILSON
bekannt sein; ich betrat mit dieser Dreigroschenoper komplettes Neuland.
Während der Vorstellung fand ich seine Inszenierung interessant, aber
beim anschließenden Darüber-Nachdenken bemerkte ich erst, wie gut sie
mir eigentlich gefallen hat.
Der
Haupteinfluß des Stücks ist sicherlich die Pantomime. Es gibt ausnehmend
wenige Requisiten und kaum Bühnenbild, aber wozu tatsächlich Gegenstände
auf die Bühne bringen, wenn man deren Anwesenheit auch mit Gesten und
Soundeffekten deutlich machen kann? So läßt beispielsweise Brown ein paar
mitgebrachte Handschellen auf den Boden fallen. Eigentlich ist da nichts,
aber aus den Lautsprechern tönt das lange Geräusch einer zu Boden rasselnden
Kette. Leider wiederholen sich einige dieser Spiele mehrmals (im Falle
der Geldübergabe zu oft).
Die
Schauspieler trugen samt und sonders schwarz, mit Ausnahme Pollys bei
ihrer Hochzeit. Die Gesichter waren komplett weiß geschminkt, mit deutlich
hervorgehobenen Lippen und Augenbrauen, was die größtenteils wunderbare
Mimik der Darsteller unglaublich gut zur Geltung brachte. Und Mimik war
ein mehr als wichtiger Bestandteil dieser Aufführung. Durch die recht
einheitliche Kleidung wird den Figuren die Persönlichkeit mehr als ein
wenig genommen. Man könnte sagen, daß Wilson hier Typen und nicht einzelne
Personen darstellen wollte.
Viele
Szenen wirkten aufwendig choreographiert; mehrere davon ließen mich an
Spieluhren oder Aufziehfiguren denken, so zum Beispiel die Szene, in der
Smith Macheath und Lucy mehrere Runden um die Zelle "jagt" und sich alle
Figuren wie Roboter bewegen. Oder auch der Anfang, in dem alle Figuren
während der Moritat (die übrigens anfangs so verzerrt wurde, daß sie wie
eine alte Aufnahme klang) nacheinander über die Bühne tänzelten.
Stellenweise
kommt bei dieser clownesken Inszenierung aber doch die Frage auf, was
wohl Brecht dazu gesagt hätte. Während der erste Eindruck war, daß die
politische "Botschaft" des Stücks ja wohl etwas zu kurz kommt, fiel beim
genaueren Hingucken auf, daß Wilson sich für Betonung durch Weglassen
entschieden hatte. Mit anderen Worten, wenn die Szene wirklich ernst wurde,
dann war es auf einmal vorbei mit allen Späßen. Die Darsteller standen
stocksteif und sprachen mehr oder weniger direkt zum Publikum.
Das
Ende gewinnt an Absurdität hinzu in dem der reitende Bote als Einziger
Farbe trägt und zwar einen Umhang, der dem Material des Bühnenvorhangs
auffällig ähnlich sieht. Das ist doch mal ein Bruch der vierten Wand einer
anderen Art…
Nun
ist das Berliner Ensemble ein Schauspielhaus, und der Gesang war dementsprechend;
größtenteils anständig, aber kaum herausragend. Auf der anderen Seite
wäre klassischer Operngesang in Brecht-Stücken auch nicht unbedingt angebracht.
Ich werde deshalb nicht allzu weit darauf eingehen, möchte nur Mrs. Peachum
erwähnen, die sich durch den schiefsten Gesang des Abends auszeichnete
und dabei leider stellenweise jenseits der Grenze des Erträglichen lag.
Die
Darstellung der Polly durch Stefanie STAPPENBECK konnte mich nicht weiter
beeindrucken. Sie sprach mit viel zu hoher Stimme, spielte völlig überdreht
und bewegte sich dabei ausschließlich wie eine Aufziehfigur. Weder lustig
noch sonst was.
Anaa
GRAENZER als Lucy gefiel mir da schon besser, vielleicht auch, weil sie
als Einzige an dem Abend nicht völlig überzeichnet dargestellt wurde.
Aus
Macheaths Bande fielen vor allem Martin SCHNEIDER (Mathias) und Boris
JACOBY (Jakob) auf und das nicht nur, weil sie die größten Rollen hatten.
Die beiden ergänzten sich auf der Bühne gut und ihr Zusammenspiel war
oft einfach lustig zu beobachten.
Mrs
Peachum (Traute HOESS) stand darstellerisch etwas im Schatten ihres Gatten,
auch wenn sie sich alle Mühe gab, bei seiner Gestik und Mimik mitzuhalten.
Tiger
Brown (Axel WERNER) trat auf als eine Mischung aus Claude Frollo, frisch
aus dem Disney-Film, und einem Totengräber aus den Lucky Luke-Comics.
Sein erster Auftritt war seltsam unauffällig, dafür blieb mir der bettelnde,
flehende Brown der letzten zwei Drittel sehr stark in Erinnerung. Wie
kann ein Mensch mit so einer tiefen Stimme eigentlich so sehr nach einem
Kind klingen, das was Dummes angestellt hat?
Filch
(Georgios TSIVANOGLOU) war wohl als der Clown des Abends gedacht; mit
abenteuerlicher Frisur und extremer Leibesfülle. Es fehlten nur noch die
zu großen Schuhe. Seine Darstellung glich der eines Pantomimen noch am
stärksten; auch saß er gegen Ende der Pause auf der Bühne und schien die
Zuschauer zu dirigieren.
Stefan
KURT spielte einen durchaus amüsanten Mackie Messer mit leicht quätschiger
Stimme. Hier fiel mir vor allem auf, wie Kurt zwischen ernsten und komischen
Szenen trennte, in dem er einfach mal einen Halbton tiefer sprach. Man
darf ihn auch als den besten Sänger des Abends bezeichnen.
Angela
WINKLER spielte die Spelunkenjenny unter einem Aspekt, der mir bisher
noch nicht begegnet, nämlich alt und verbraucht. Bleich wie der Tod, mit
seltsam dünner Stimme, aber ständig kichernd. Ihr Gesang war eher als
Wimmern zu bezeichnen, aber das paßte richtig gut dazu.
Der
überzeugendste Darsteller des Abends war jedoch sicher Jürgen HOLTZ als
Peachum. Er zeichnete sich durch eine einfach unglaubliche Mimik aus,
und sein vor Ekel verzogenes Gesicht wird mir noch lange im Gedächtnis
bleiben.
Das
DREIGROSCHENORCHESTER, das anscheinend nicht dirigiert werden muß (musikalische
Leitung: Hans-Jörn BRANDEBURG und Stefan RAGER, die beide beide im Orchester
mitspielen), untermalte den Abend anständig und ohne sonderlich positiv
oder negativ aufzufallen.
Wie
eingangs gesagt hat es ein wenig Nachdenken gebraucht, bis mir einige
der guten Ideen der Inszenierung tatsächlich aufgefallen sind und so richtig
gut hat mir das gesamte Stück erst im Nachhinein gefallen. NG
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