Es
ist schon erstaunlich, was ein einzelner Sänger bewirken kann: noch im
Frühherbst letzten Jahres gab es für die beiden "Parsifal"-Aufführungen
trotz erstklassiger Besetzung (Waltraud Meier, René Pape, Daniel Barenboim)
noch reichlich Karten. Dann wurde plötzlich Placido DOMINGO in der Titelpartie
angekündigt - und zwei Tage später war die Staatsoper ausverkauft…
Wer
sein Interesse mehr auf eine insgesamt gute Aufführung gerichtet hatte,
der dürfte die Absage von René Pape als Gurnemanz bedauert haben. Allerdings
standen mit Matti Salminen (am 6.3.) und Robert HOLL hervorragende Einspringer
zur Verfügung. Holls gleichermaßen machtvolle wie weiche (in den Ansätzen
häufig ganz leicht nasale) Stimme ist ideal für die Partie. Der jahrzehntelange
Liedersänger Holl weiß um die Wichtigkeit der Worte und ihrer farblichen
Abschattierungen, und verleiht der Figur so eine große Lebendigkeit, während
Optik und Stetigkeit des gleichmäßig (aber nicht gleichförmig) strömenden
Organs gleichzeitig das Gefühl von Ruhe vermitteln; eine großartige Leistung,
mit der er zur Zentralfigur der Außenakte wurde.
Placido
Domingo hatte den Parsifal vor einigen Jahren eigentlich zu den Akten
gelegt. Umso überraschender, daß er sich jetzt noch einmal damit beschäftigte
(und obendrein zumindest für den 2.Akt hörbar am Deutsch gefeilt hatte).
Natürlich ist das nicht mehr der Domingo von vor zehn Jahren, kann es
auch gar nicht sein. Die Stimme hat an Farbe verloren, über manche Passage
hilft er sich mittels relativ schneller Tempi hinweg (Daniel BARENBOIM
ist den Sängern jederzeit Freund und Helfer), und im Piano ist die Tragfähigkeit
begrenzt, was sich im fast unhörbaren "Wie dünkt mich doch die Aue heut
so schön" niederschlägt. Aber insgesamt ist die Leistung doch imponierend.
Erstaunlich, über welche Kraftreserven er etwa bei "Amfortas, die Wunde"
noch verfügt. Die Linienführung ist über weite Strecken tadellos, und
das Phrasieren hat er auch nicht verlernt. Hier weiß einer eindeutig sehr
genau, was er singt, auch dann, wenn es mit der Aussprache mal nicht hundertprozentig
funktioniert.
Neben
diesen beiden fällt Hanno MÜLLER-BRACHMANN im ersten Moment insofern ab,
als ihm das für den Amfortas eigentlich erwünschte warme Timbre fehlt,
was sich nach anfänglicher Irritation aber durchaus als Vorteil erweist.
Sein Gralskönig ist ein aufbegehrender Kriegsmann von bohrender Intensität,
kein permanenter Jammerlappen (als den ihn z.B. Claude Debussy gesehen
hat). Daß ihm der hervorragend textverständliche Christof FISCHESSER als
Klingsor in mancher Härte durchaus ähnlich und obendrein nicht nur Opernschurke,
sondern selbst auch Leidender ist, bringt eine zusätzliche Ambivalenz
in die Figuren; es scheint am Zufall zu hängen, ob man auf der "richtigen"
Seite landet.
Die
mahnenden - bei genauerer Betrachtung allerdings vor allem egoistischen
- Sätze Titurels waren bei Andreas BAUER gut aufgehoben.
Überstrahlt
aber wurde der Abend für mich von zwei Künstlern, die Extremes leisteten.
Da war zum einen Daniel BARENBOIM, der mit der zwischen samtenen Streichern
und ehern weichem Blech phänomenal aufgelegten STAATSKAPELLE eine Differenzierung
in der Dynamik und ein in der Perfektion der schwebenden Übergänge häufig
fast schon impressionistisches Klangbild erreichte, wie es außerhalb der
besonderen Akustik Bayreuths heute wohl konkurrenzlos sein dürfte. Letzteres
gilt auch für den von Eberhard FRIEDRICH einstudierten STAATSOPERCHOR.
Und
mit Waltraud MEIER stand wohl "die" Kundry der letzten dreißig Jahre auf
der Bühne, unverwechselbar in der Ausformung der Erzählung, bei der man
selbst im Pianissimo jedes Wort bis in den 3. Rang hinauf verstand, mühelos
in den Ausbrüchen (selbst das von Barenboim allerdings mustergültig vorbereitete
"Irre….irre" kam problemlos), und mit einer Ausstrahlung und Verführungskunst
allein rein über den Klang gesegnet, die verstehen läßt, warum ihr die
Männer bedingungslos verfallen.
Die
2005 stark gescholtene Produktion von Bernd EICHINGER erweist sich inzwischen
als repertoiretauglich - im positiven wie negativen Sinne. Man ist nicht
zwingend auf immer dieselbe Besetzung festgelegt, und Gastsänger lassen
sich selbst bei kurzfristigem Einspringen problemlos integrieren. Erkauft
wird dieser Vorteil allerdings mittels weitgehend nicht vorhandener Personenführung;
der Regisseur Eichinger hat seine Arbeit dem Filmproduzenten gleichen
Namens überlassen, der einige durchaus interessante Videoeinspielungen
beisteuert. Ansonsten wird gestanden bzw. die Sänger sind auf die eigenen
Fähigkeiten angewiesen. Ein interpretatorischer Ansatz ist erst im 3.Akt
erkennbar, zu spät um die Aufführung auch szenisch zu tragen. Das ist
insofern schade als die Bühnenbilder von Jens KILIAN nicht nur eine gewisse
Ästhetik besitzen, sondern auch Raum zur Interpretation geboten hätten.
Hartmut Kühnel
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