DAS MÄDCHEN AUS DEM BLECHERNEN CONTAINER...

Schon beim Betreten des Hauses wird man mit dem Thema "Auswandern" konfrontiert. Es gibt Lautsprecherdurchsagen wie auf einem Schiff, einen Ticketverkauf, Matrosen sowie einen penetranten Photographen, der einen ungefragt mit seinem Blitzlicht erschreckt. Offenbar soll dies auf Vera NEMIROVAs Inszenierung vorbereiten, die in einem Containerdorf mit Imbißwagen spielt, während Minnies Hütte ein Campingwagen ist und das Finale in unerträglich kitschigen Wolkengebilden läuft (Ausstattung: Klaus Werner NOACK).

Sollte hier Skandal gemacht werden? Dumm nur, daß dies nicht funktioniert, denn die Personenführung ist höchst konventionell, und irgendwelche neuen Einsichten erfährt das Stück auch nicht durch die modernen Kulissen. Lediglich, wenn Minnie und Rance um Ramerrez' Leben auf dessen am Boden liegenden Körper pokern, ist sie plötzlich da, die lang vermißte Spannung; aber das könnte auch durchaus an den in diesem Moment extrem engagierten Sängern liegen. So bleiben von der Produktion hauptsächlich zwei Fragen in Erinnerung: Wieso und vor allem wo arbeitet ein Großteil der in der Einöde lebenden Männer als Weihnachtsmänner? Und warum haben alle Container Parabolantennen, aber es ist nirgendwo ein Fernseher zu erkennen? Handelt es sich um ein geheimes Forschungsprojekt der NASA? Sollen Außerirdische angelockt werden nach dem Motto: "Ich bin ein Sänger - Holt mich hier raus?"

Musikalisch sah es da schon besser aus, auch wenn Frank PORETTA als Dick Johnson vor allem zu Beginn klang, als sänge er mit heftigen Halsschmerzen, so als liege eine kratzige Heiserkeit auf der Stimme. Dies legte sich im Laufe des Abends etwas. Merkwürdigerweise kamen die Spitzentöne ohne diese beschriebenen Probleme.

Meine erste Begegnung mit Francesca PATANÉ, wie damals auch hier einspringend, vor einigen Jahren als Lady Macbeth ließ mich Schlimmes befürchten, doch ich wurde eines besseren belehrt. Zwar waren die Extremhöhen dünn und nicht an den Rest der Stimme angebunden, aber als Figur vermochte sie zu packen. Sie stellte Stimme und Spiel schonungslos in den Dienst der Rolle, wobei sie als kämpfende Frau mehr überzeugte als in den Liebesduetten.

Dies mag auch dem Umstand geschuldet sein, daß ihr Zusammenspiel mit dem Jack Rance von Lucio GALLO sehr intensiv war. Mit dem einzig kleidsamen Kostüm des Abends gesegnet bot er mit kluger Phrasierungskunst einen kühlen Sheriff, unter dessen Oberfläche es brodelte und der geradezu explodiert, wenn ihn die Gefühle für Minnie übermannen. Wenn am Ende Minnie und Johnson fliehen, muß er seine Haltung nur minimal verändern, um zu zeigen, daß seine Welt gerade zerbrochen ist. Höchstens, daß er gelegentlich mehr wie ein Salonlöwe als ein Saloontiger wirkt, könnte man anmerken.

Von den kleineren Rollen sticht vor allem Clemens BIEBER als Nick mit schönem Tenor und präsentem Spiel heraus, ebenfalls positiv bleiben Markus BRÜCK (Bello/Jack Wallace), Peter MAUS (Harry), Ceri WILLIAMS (Wowkle) und Harold WILSON (Castro) in Erinnerung. Schwachpunkte im ansonsten guten Ensemble stellten Piér DALÀS (als wenig intonationssicherer Ashby), Lenus CARLSON (als rauhstimmiger Sonora) und Carlos KRAUSE (Billy Jackrabbit mit stimmlichen Defiziten) dar.

CHOR (Leitung Ulrich PAETZHOLDT) und ORCHESTER erledigten ihre Aufgaben fehlerfrei; daß letzteres häufig zu laut war, ist Vjeskoslav SUTEJ anzulasten. Ansonsten hielt der Dirigent Graben und Bühne ordentlich zusammen, ohne jedoch irgendwelche großen eigenen Akzente zu setzen. MK