Es
gibt Oper, die können wir nicht oft genug live hören, und es gibt Opern,
die würden wir gern öfter hören (in adäquater Besetzung, versteht sich).
Eine davon ist "Eugen Onegin". Die Inszenierung an der DOB von Götz FRIEDRICH
bietet den Sängern auch nach fast zehn Jahren ausreichend Raum, den Abend
für die individuelle Rollengestaltung zu nutzen. Es war und ist nichts
da, was sie daran hindert. Man kann über Details diskutieren (Ballett
im sechsten Bild, der merkwürdige Wechsel der Jahreszeiten), aber wirklich
stören tut nichts davon. Im Gegenteil, je häufiger wir diese Produktion
erleben, desto besser scheint sie zu werden.
In
diesem November hatten wir viel Besetzungsglück. Lucio GALLO, der bereits
in der Premiere der Onegin war und auch diesem Abend ein werk- (Pushkin-)
getreues Rollenbild formte. Musikalisch läßt sich sagen, daß ihm die Hinwendung
zu dramatischeren Rollen nicht geschadet hat. Im Gegenteil! Seine Stimme
klingt voller und wärmer. Die Schattierungen haben eine interessante Vielfalt.
Endlich,
endlich gab es für diesen Onegin auch einmal eine passende Tatjana. Elena
PROKINA, schon im Oktober in Hamburg als großartige "Pique Dame"-Lisa
zu erleben, durchmißt die Partie ohne technische Schwierigkeiten, man
spürt förmlich, wie die emotionalen Ausbrüche aus ihr herausdrängen. Die
Briefszene, die bei der Premierenbesetzung arg lang werden konnte, ließ
das Durchwachen einer Nacht miterleben, und in der Schlußszene steigerte
sie sich noch einmal. Zudem waren da im Spiel kleine, neuen Einfälle zu
beobachten, die Tatjanas Charakter noch deutlicher machten.
Neue
Perspektiven brachte auch das Wiedersehen/-hören mit Vsevolod GRIVNOV
als Lenski. Der Tenor hat anscheinend in den vergangenen Jahren viel an
Stimme und musikalischem Ausdruck gearbeitet, so daß es ihm noch besser
gelang, die enorme Kraft seiner Stimme zu kontrollieren. Sein kultivierter
Gesang und Nuancen, die man in Berlin in dieser Partie noch nicht gehört
hatte, paßten gut zu dem durchdachten Rollenporträt vom so überschwenglichen
wie letztendlich tragischen (Zweit-) Helden.
Marina
PRUDENSKAJA (Olga) ist stimmlich ohne Fehl und Tadel, doch sie konnte
die Meßlatte, die Elena Zhidkova seit der Premiere in dieser Rolle (unerreichbar?)
hoch gelegt hat, nicht erreichen. Zu steif wirkte sie im Spiel, zu unkokett,
zu wenig spontan.
Schon
allein durch seine äußere Erscheinung ist Reinhard HAGEN mit seinem Gremin
sofort beim Auftreten sofort präsent. Er gibt sich nicht damit zufrieden,
allein durch das Absingen der Arie abzuräumen, sondern nutzt die kurze
Zeit auf der Bühne, um dem Fürsten eine tiefere Bedeutung als ausschließlich
der des "Mannes an Tajanas Seite" zu geben. Schön gesungen war es allemal.
Erfreulich
die Neubesetzung der Amme mit Ceri WILLIAMS, die angenehm unaufdringlich
agierte und tadellos sang. Ute WALTHER (Larina) sang auch in der 33. und
34. Vorstellung der Produktion ein völlig indiskutables Russisch. Gleiches
galt auch über weite Strecken für den CHOR, für den auch diesmal die üblichen
Hürden z.B. auf Gremins Fest unüberwindbar waren.
Peter
MAUS als Triquet ist als zauseliger, älterer Herr gleichzeitig rührend
und komisch. Gekonnt nutzte er seine sängerischen Fähigkeiten, um für
seinen kurzen Auftritt zu fesseln. Ebenso kurz war die Chance für Harold
WILSON, sich als Saretzki zu profilieren. Er zeigte, daß Berlin immer
noch ein exzellentes Klima für junge Bässe bietet. Die Szene wurde aber
fast durch Monsieur Guillot (leider nicht namentlich im Programm genannt)
gestohlen, der viel Präsenz aufwies, ohne dafür einen Ton von sich zu
geben.
Wenn
diese Produktion, ihre Sänger und das Publikum etwas endlich verdient
hatten, dann war dies ein kompetentes Dirigat. Und tatsächlich! In diesem
Jahr war es endlich soweit. Michail JUROWSKI besitzt genug Mut zum Schwelgen,
ohne in Kitsch abzugleiten, und mehr als ausreichend musikalisches Gefühl,
um etwas nach großer russischer Oper klingen zu lassen, was große russische
Oper ist. Besonders erwähnenswert ist sein sensibles, geradezu instinktives
Eingehen auf dynamische Wechsel der Sänger. Das ORCHESTER DER DEUTSCHEN
OPER spielte nach unserer Erinnerung erstmals in dieser Produktion ohne
Makel. MK & AHS
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