In
etwas mehr als 24 Jahren eine berühmte Oper wie „Carmen“ ca. 70 mal zu
spielen, ist eigentlich relativ wenig (die Hamburger Produktion ist ein
Jahr jünger und hat gut 120 Aufführungen), aber in Anbetracht der Situation
der Besetzungsfragen ist es auch nicht so verwunderlich: Wann kriegt man
schon mal eine Carmen, die nicht entweder langweilt bis zum Geht-nicht-mehr
oder einen auf pseudo-temperamentvolle Super-Latina macht? Wann hört man
die absolut unbequem liegende Rolle des Escamillo mal wirklich überzeugend
geboten? Und wann erlebt man mal gut Spinto-Tenöre??? Die Antwort haben
Sie soeben mit Ihrer Maus angeklickt...
Aber
heben wir uns die vokalen Leckerbissen für später auf (Vorfreude ist doch
immer noch die schönste aller Freuden). Wie gesagt hat die Inszenierung
von Peter BEAUVAIS schon mehr als 24 Jahre auf dem Buckel, aber sie wirkt
noch sehr frisch und keinesfalls eingestaubt, was auch an der Einstudierung
von der Oberspielleiterin Jasmin SOLFAGHARI gelegen haben mag. Sie führt
das sevillanische Leben sehr plastisch und v.a. realistisch vor Augen
und weist eine gute Personenführung auf, die verhindert, daß es in den
Passagen, in denen gesungen wird, aber nichts wirkliches geschieht, nie
langweilig wird. Eine kleine geschmacklich-farbliche Entgleisung stellen
jedoch die Kostüme der Soldaten dar, dessen hellblaue Hosen sich mit den
beige-gelblichen Jacketts heftigste Bißkämpfe lieferten. Die anderen Kostüme
fügten sich aber gut in das Bühnenbild ein. Für beides zeichnete Pier
Luigi SAMARTINI verantwortlich.
Orchestral
leitete Jun MÄRKL das ORCHESTER DER DEUTSCHE OPER BERLIN souverän, verlor
aber in den Ensembles und Chorszenen manchmal etwas die Kontrolle. Er
ließ leider das spanische Idiom und damit den einen oder anderen Akzent
vermissen. Den Vorwurf des zu lauten Dirigierens, der ihm des Öfteren
gemacht wird, kann ich nicht bestätigen. Unter der Leitung von Ulrich
PAETZHOLDT brachte der CHOR eine solide Leistung zustande.
In
der Titelpartie war eine Sängerin zu hören, die für mich der Inbegriff
der Carmen ist: Agnes BALTSA. Mag sein, daß ihre Stimme im Laufe der Zeit
etwas dramatischer und herber geworden ist (sie singt ja auch zunehmend
die Charakterpartien wie die Küsterin, Debüts als Klytämnestra und Ortrud
stehen bevor), aber interpretatorisch und darstellerisch ist sie einfach
eine Wucht (dazu kommt ein so wundervoll ordinäres Französisch!). Man
hat stets das Gefühl, daß sie die Rolle lebt. Die Frau hat eine unglaubliche
Bühnenpräsenz! Und singen kann sie auch! An diesem Abend hatte sie auch
ihre ansonsten gerne mal auftauchende Registerdivergenz im Griff. Baltsa
ist weit mehr als nur eine bloße Sängerin!!!
Ihr
zur Seite standen auch sehr gute Sänger. So ist Michaela KAUNE eine hervorragende,
selbstbewußte und herrlich singende Micaela, die eine echte Konkurrenz
zu Carmen darstellt. Ich denke, eine Weltkarriere dürfte ihr sicher sein
und bitte auch mal in Hamburg!!!
Julian
GAVIN (José) bewies, dass es noch gute Spintos gibt, die es nicht als
Interpretation betrachten, wie verloren auf der Bühne zu stehen und alle
anzubrüllen. Er hat eine angenehme Stimme, in der bestimmt noch mehr steckt,
als was man da zu hören bekam. Außerdem versteht er es, zu differenzieren.
Schade nur, daß er das hohe B in der Blumenarie nicht im piano genommen
hat. Aber das kann ich gut verkraften. Beim nächsten Mal vielleicht...
Laurent
NAOURI (Escamillo) verfügt über einen baßbaritonalen Stimmumfang, der
ihm einen sicheren Umgang sowohl mit den Höhen als auch den Tiefen des
Torero-Liedes gestattet. Auch gestalterisch und darstellerisch war er
hervorragend. Lediglich der abgehackte Refrain störte ziemlich. Trotzdem
war er bislang der beste Escamillo, den ich live gehört habe.
Auf
angemessenem Niveau befand sich der Rest in Gestalt von Stephanie WEISS
(Frasquita), Jessica MILLER (Mercedes), Bernd VALENTIN (Morales), Harold
WILSON (Zuniga), Peter MAUS (Remendado) und Jörg SCHÖRNER (Dancairo).
Klaus LANG gab Lillas Pastia und Ulrich GEORGE spielte den Bergführer
und Andres. WFS
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