Als
regelmäßiger Operngänger wird man mit der Zeit feststellen, daß man äußerst
selten erlebt, daß bei einer Aufführung alles stimmt, also Regie, Sänger
und Dirigat. Noch seltener ist es, wenn diese Komponenten quasi eine Symbiose
bilden, miteinander verschmelzen. Aber es gibt diese Produktionen. Eine
davon ist der Macbeth an der Berliner Lindenoper aus dem Jahr 2000.
Für
die Regie zeichnet Intendant Peter MUSSBACH verantwortlich, der das viel
zu selten gespielte Werk nicht von der Handlung, sondern vielmehr aus
der Psyche, aus dem Wahn der beiden Protagonisten erzählt. Solche Ansätze
können schnell gehörig in die Hose gehen, da sie oft peinlich wirken.
Allerdings hat Mussbach ein Konzept, das dies verhindert. Der Bühnenraum
(Erich WONDER) kommt komplett ohne Requisiten aus. Er ist komplett mit
rotem Stoff ausgekleidet (der leider etwas die Stimmen „verschluckt“,
jedoch in Kombination mit farbigen Scheinwerfern tolle Farbeffekte bilden).
Die Bühne erstreckt sich in den Zuschauerraum um den Orchestergraben herum.
Auf der rechten Seite befindet sich eine Treppe und eine Art Loge, in
die Banco nach seiner Ermordung geworfen wird.
Durch
diesen Minimalismus kann man sich genau auf die Personenführung und die
kongenialen Einfälle konzentrieren. Wenn der König im ersten Aufzug zur
Bühnenmusik ganz langsam quer über die Bühne „wankt“, und Macbeth und
seine Lady wie entrückt auf ihn starren, dann ist man sich nicht wirklich
sicher, ob er nun real ist, oder ob es sich um eine Phantasmagorie handelt,
die des Königs baldigen Tod vorausahnen machen soll. Die Tatsache, daß
eigentlich nur Macbeth und seine Gattin im Licht stehen, die anderen eher
schemenhaft im Dunkeln agieren (dazu noch mit dunklen Kostümen), läßt
diese noch unwirklicher erscheinen. Sehr genial ist auch der Einfall,
Macbeth von zwei Seiten anzuleuchten, was seine Zerrissenheit deutlich
macht, während die Lady nur einen Spot ihr eigen nennen kann.
Mussbach
verlegt die Handlung nicht nur in die Psyche, er verändert sie auch. So
läßt er beispielsweise Banco von Macbeth ermorden und nicht von den Mörder.
Das macht auch durchaus Sinn: Diese wichtige Aufgabe kann er einfach keinem
anderen überlassen, als ihm selbst, und da er halt ein Mörder der weniger
subtileren Art ist, kann Fleance entfliehen. Den Mörder, der ihm von seiner
Tat erzählt, läßt der Regisseur dann logischerweise nicht mehr auftauchen,
sondern aus dem Off singen. Aber nicht nur Banco stirbt anders, auch Macbeth
scheidet nicht so dahin, wie Verdi bzw. Shakespeare es sich gedacht hatten.
Nachdem der Wald von Birnam ihn umzingelt hat, greift er sich ans Herz
und geht dann seinen Weg ins Nirvana.
Die
überwiegend dunklen Kostüme von Andrea SCHMIDT-FUTTERER fügen sich glänzend
in das Konzept ein: Macbeth sieht fast so aus wie die Hexen, die Lady
trägt eine Art japanischen Bademantel und eine „Steckdosenfrisur“, selbstverständlich
ist sie weiß gekleidet (die Unschuld in Person). Ihr goldenes Kleid in
der Bankett-Szene ist hinreißend!
Für
solch eine Produktion braucht man jedoch hervorragende Darsteller, die
die Inszenierung mit Leben füllen können. Die stehen glücklicherweise
zur Verfügung, also größtenteils jedenfalls. Andrew RICHARDS, der die
Serie für Victor Lutsiuk übernahm, fällt als Macduff durch eine nicht
uninteressante Stimme auf. Leider hat er einen Hang dazu, sich durch ein
arg prätentiöses Spiel und ebensolchen Gesang in den Vordergrund drängen
zu müssen, was insbesondere bei dem Ensemble im Finale des ersten Aktes
negativ auffiel. Seine Arie sang er ordentlich, kam jedoch nicht so wirklich
rein und hinkte im Tempo stets hinterher, dazu kamen etliche Probleme
beim Tonansatz, was man aber auch als Schluchzer durchgehen lassen könnte,
ich aber nicht als so viel besser ansähe, wenn es denn so wäre.
Ein
hervorragender Banco ist Kwangchul YOUN, der ein äußerst differenziertes
Portrait dieser eindeutig zu kurzen Rolle ablieferte und auch sehr gut
spielte. Schändlicherweise wurde er beim Schlußapplaus unterschlagen!
Ein
besseres Paar für die anspruchsvollen Partien der beiden Hauptrollen zu
bekommen als es Sylvie VALAYRE und Lucio GALLO sind, grenzt an Unmöglichkeit!
Beide spielen und singen sich in einen nahezu angstmachenden Wahn, stacheln
sich gegenseitig auf. Man hat nicht nur das Gefühl, daß sie zu jedem Zeitpunkt
wissen, was sie selbst singen, sondern auch, was der Partner singt und
gehen auch noch exakt darauf ein, je nachdem wie er das tat. Das ist Interaktion
vom Feinsten!!! Beide haben zudem eine perfekte Diktion.
Gallos
Bariton tendiert schon in Richtung Heldenbariton (sein Holländer-Debüt
steht kurz bevor). Man merkte zwar marginalste Ermüdungserscheinungen
gegen Ende, die man aber angesichts dieser einzigartigen Leistung sehr,
sehr gerne vergisst. Valayre hat genau die richtige Dramatik für die Lady
in der Stimme. Die technischen Herausforderungen meistert sie gekonnt,
teilweise mogelt sie jedoch ein wenig, aber wir wollen ja nicht beckmesserisch
werden. Es ist unglaublich, wie sie ihre Wahnsinnsszene mit den ganzen
Verrenkungen sang und spielte.
In
den Nebenrollen glänzte Peter-Jürgen SCHMIDT als herrlich vertrottelter
Malcolm. Magdalena HAJOSSYOVA war eine verläßliche Kammerfrau, ebenso
verläßlich waren Yi YANG (Mörder, Erscheinung, Arzt), Bernd RIEDEL (Diener)
sowie Rahul KULKA und Paul SIEBLER (Erscheinungen).
Die
Sänger wurden von Michael GIELEN und der STAATSKAPELLE BERLIN förmlich
auf Händen durch die Aufführung getragen. Offensichtlich gingen der Produktion
viele Proben voraus, so daß die Chemie zwischen Graben und Bühne jederzeit
perfekt stimmte (abgesehen von erwähnter Arie). Was Gielen an Farbenreichtum
und Nuancen aus dem Orchester, das er quasi zum dritten Hauptakteur aufwertet
holt, ist beeindruckend! Ich habe es noch nie erlebt, daß Streicher von
einer Sekunde auf die nächste plötzlich viel dunkler und dumpfer klingen!
Das Dirigat zeugt von einer ungemeinen Intensität und dem werkimmanenten
Zynismus. Bei Gielen klingen selbst die Tempi, bei denen andere Orchester
entweder auseinanderfallen oder lieblos klingen, hochgradig inspiriert.
Die vereinzelten Buhrufe für ihn kann ich mir nur damit erklären, daß
er sich nicht dagegen durchgesetzt hat, das Ballett zu streichen...
Eine
herausragende Leistung ist auch dem STAATSOPERNCHOR unter der Legende
Eberhard FRIEDRICH zu bescheinigen, der zudem auch toll spielte - also
der Chor...
Aber
aufgepaßt: Menschen, die schwache Nerven haben, zu Alpträumen neigen usw.,
sollten Aufführungen dieser Produktion besser meiden, ebenso solche, die
dem modernen Regietheater nichts abgewinnen können, es sei denn sie können
das ausblenden, und die Musik genießen. Wenn nicht, sollten sie besser
auf eine UNBEDINGT notwendige CD-Aufnahme warten. Es bleibt zu hoffen,
daß es eine solche geben wird!!! WFS
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