"Moses
und Aron" gilt allgemein als das Schmerzenskind seines Schöpfers Arnold
SCHÖNBERG. In den Jahren 1931/32 wurden zunächst die ersten zwei Akte
des dreiaktig konzipierten Werkes in relativ kurzer Zeit fertiggestellt.
Danach fuhr sich die Arbeit fest. Komplettiert wurde unter vielen Mühen
nur noch das Libretto. Zu kompositorischer Arbeit ist es trotz immer wiederkehrender
Beschäftigung mit dem Stück - noch 1949 hoffte Schönberg auf eine baldige
Beendigung - bis auf minimale Skizzen nicht mehr gekommen. Am Ende schien
er resigniert zu haben. So schrieb er 1951: "Einverstanden, daß III.
Akt eventuell ohne Musik, bloß gesprochen, aufgeführt wird, falls ich
Komposition nicht vollenden kann."
Die
Uraufführung der ersten zwei Akte fand erst 1954, drei Jahre nach Schönbergs
Tod, in konzertanter Form in der Hamburger Musikhalle statt, szenisch
folgte nochmals drei Jahre später das Züricher Opernhaus. Die szenische
deutsche Erstaufführung (erstmals mit drittem Akt, dem Dirigent Hermann
Scherchen allerdings die Musik der 1. Szene des 1. Aktes unterlegte) wurde
1959 an der Städtischen Oper Berlin zum Riesenskandal, weil sich brutales
Kulturspießertum vor und während der Premiere auf eine Weise Bahn brach,
die sich von 1933 nur im Detail unterschied. Den ausländischen Hörern
der Direktübertragung dürfte sich ein wunderbares Bild eines "neuen und
demokratischen" Deutschland geboten haben.
Derartige
Auswüchse sind inzwischen lange vorbei. Doch auch heute noch fehlt Teilen
des Publikums offenbar jegliches Verständnis für die musikalischen Auswirkungen
und kompositorischen Möglichkeiten der Zwölftontechnik. Anders lassen
sich neueste Aussagen wie: Sie habe zu nichts geführt, und mit ihr ließen
sich nur schaurige Stoffe darstellen (was genauso korrekt ist wie die
Behauptung, in C-Dur könne man nur Kinderlieder schreiben), kaum erklären.
Die
in der Philharmonie dargebotene Form der - zweiaktigen - konzertanten
Aufführung umging die dem Werk immanente Schizophrenie, die Thematik des
alttestamentarischen Bilderverbots für das Theater bebildern zu müssen.
Und sie gab dem intellektuellen Sänger des 20. Jahrhunderts, Dietrich
FISCHER-DIESKAU, Gelegenheit, eine Partie zu übernehmen, die ihm auch
noch - und vielleicht gerade - in vorgerücktem Alter auf den Leib geschrieben
ist. Schönberg hat Moses als dem Träger des absolut abstrakten, durch
keinerlei bildliche Vorstellung eingeengten Gottesgedankens mittels in
Tonhöhe und Rhythmus genau festgelegter Sprechstimme bewußt die sinnliche
Wirkung der Singstimme genommen. Wirken soll allein die Idee, eine in
der Umsetzung schwierige, weil große Persönlichkeit erfordernde Aufgabe,
der Fischer-Dieskau ideal gerecht wurde. Sprachliche Differenzierungskunst
und ein immer noch erstaunliches Volumen verdeutlichten sowohl das unbedingte
Sendungsbewußtsein des von seiner Aufgabe Erfüllten als auch das totale
Unverständnis gegenüber den damit verbundenen Problemen. Moses als intellektueller
Überflieger, der nicht versteht, daß man ihn nicht versteht. Vielleicht
hat sich auch der Sänger Fischer-Dieskau manchmal so gefühlt, wenn man
ihm nicht mehr folgen wollte.
Donald
KAASCH war ihm als Aron ein ebenbürtiger Partner - was für die Gleichwertigkeit
der widerstreitenden Prinzipien von entscheidender Bedeutung ist. Der
Amerikaner sang mit schlanker, doch durchschlagskräftiger, hell timbrierter
Stimme, wobei er in den Höhen geschickt von den Möglichkeiten sehr kopfiger
Mischtöne bis hin zum Falsett Gebrauch machte. Vervollständigt wurde diese
Leistung durch eine intelligente Phrasierung, ausgezeichnete Diktion und
geradezu phänomenale rhythmische Genauigkeit.
Bei
den weiteren, im Orchester aufgestellten Partien ist zuerst Kwangchul
YOUN als machtvoll orgelnder Priester zu nennen. Doch auch Melanie WALZ
(Junges Mädchen und 1. nackte Jungfrau) und Thomas MOHR (Anderer Mann
und Ephraimit) schlugen sich ohne Fehl und Tadel. Einzig Marcus ULLMANN
(Junger Mann und Nackter Jüngling) fiel infolge etwas geringen Volumens
leicht ab.
Eine
grandiose Leistung bot der von Simon HALSEY einstudierte RUNDFUNKCHOR
BERLIN, aus dem heraus auch eine Reihe kleiner Solopartien (drei der vier
nackten Jungfrauen, die Ältesten und die sechs Solostimmen im Orchester)
besetzt waren. Die zum Teil ebenfalls als Sprechstimme, mitunter gleichzeitig
gegen den Gesang, gesetzte Chorpartie erfordert neben dem nötigen technischen
Können eine enorme Präzision und Differenzierungsfähigkeit; eine Aufgabe,
die hier beispielhaft gelöst wurde.
Kent
NAGANO schien mit dem hervorragend disponierten DEUTSCHEN SYMPHONIE-ORCHESTER
BERLIN die zwischen Vorherrschaft der Analyse und Schönheit des Klanges
pendelnde, sich ständig wandelnde Schönberg-Rezeption der letzten fünfzig
Jahre zusammenfassen zu wollen. Genau den Intentionen des Komponisten
folgend (der sich ja - bei aller Neuheit - nie als radikaler Neutöner,
sondern als aus der Tradition kommender Ausdrucksmusiker verstanden hatte),
erreichte er ein Höchstmaß an Transparenz der Struktur bei gleichzeitiger
theatralischer Dramatik und belcantesker Linienführung - ein Kunststück
der besonderen Art. Hartmut Kühnel
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