José
CARRERAS hat bereits zu einem sehr frühen Stadium seiner Karriere begonnen,
Liederabende zu geben, und schon immer waren bei diesen das Herzstück
Canzoni und Lieder von italienischen und französischen Komponisten, die
zum großen Teil für die Salons und Soireen entstanden sind. Unter diesen
Umständen ist es, wie es die Berufskritik zum Teil getan hat, fast schon
lächerlich, die Behauptung aufzustellen, Carreras habe bei seiner Programmauswahl
dafür gesorgt, nur solche Stücke vorzutragen, die keine besonderen Höhenflüge
erfordern. Gleichzeitig wurde das Fehlen solcher Höhenflüge bemängelt.
Ich frage mich, würden die gleichen Kritiker ähnliches schreiben bei einem
Sänger, der deutsche Lieder zu Gehör bringt? Würden sie auch da beklagen,
daß der Sänger nicht von der vorgegebenen Notenlinie abweicht? Wohl kaum...
Der
Liederabend in der trotz extrem hohen Eintrittspreisen fast ausverkauften
Philharmonie bewies wieder einmal, was an der Stimme von Carreras jedesmal
aufs Neue fesselt. Jede Phrase wird nuancenreich von dem samtigen Timbre
dargeboten. Der Künstler spürt jeder Silbe nach, als handele es sich bei
den den Liedern zugrundeliegenden Texten um Dichtungen von Weltrang und
nicht manchmal auch nur um leicht verkitschte Serenaden. Sein vollständiges
Aufgehen in diesen Liedern gewährt auch dem Publikum einen sehr direkten
Zugang zu den Stücken.
Das
Programm begann mit "Lu Cardillo" von Mercadante, um dann mit einem exemplarisch
dargebotenen "Dolente immagine" von Bellini einen ersten, frühen Höhepunkt
zu setzen. Der erste Teil bot dann unter anderem noch drei Tosti-Lieder
und "Vurria" von Rendine, bei welchem nicht nur lyrische, sondern auch
dramatische Qualitäten des Tenors zu hören waren. Nach der Pause gab es
nach zwei spanischsprachigen Stücken drei bislang noch nicht gehörte Lieder
von Denza ("Si vous l'aviez compris", "Si tu m'aimais" und "Vieni"), die
mit ungeheuer intensiver Emphase dargeboten wurden und auch mit Recht
großen Applaus ernteten. Das offizielle Programm wurde dann beschlossen
von Tosellis "Seranata" und "Musica proibita".
Carreras
wurde am Flügel von Lorenzo BAVAJ begleitet, der wieder einmal zeigte,
daß er für diese Art von Repertoire sicherlich einer der besten Pianisten
ist. Er wußte durchaus eigene Akzente zu setzen, spielte animiert und
manchmal blitzte im Klavierpart sogar ein ironischer Kontrast zu der melancholischen
Grundstimmung der Gesangslinie auf.
Mit
vier Solo-Stücken bedacht und ansonsten ebenfalls als Begleitung einiger
Gesangsstücke eingesetzt wurde das G-STRING-QUARTETT. Ihren elf Tage zuvor
in Hamburg dabei gewesenen Kollegen von Ensemble Wien waren sie in jedem
Punkt überlegen. Sie hatten einen wesentlich präziseren Strich, klangen
im Zusammenspiel homogener und verfügten auch einzeln über den satteren
Sound. Sogar der "Rigoletto-Walzer", den ich in Hamburg als unerträglich
albern empfunden hatte, konnte hier als musikalischer Witz reüssieren.
Die
Begeisterung des Publikums wurde mit sechs Zugaben belohnt, davon die
beiden letzten bei bereits angeschaltetem Saallicht. Für Tostis "A vucchella"
wandte sich Carreras - schon fast eine Tradition - den in seinem Rücken
sitzenden Zuschauern zu. Es folgten unter anderem "Core 'ngrato" und "Torna
a Surriento", während dank eines Zurufs für Maestro Bavaj der Beginn von
"Passione", der fünften Zugabe, wiederholt werden mußte - Carreras erlitt
einen sehr sympathischen Lachkrampf, von dem er sich mehrere Minuten nicht
erholen konnte. MK
P.
S.: Beim Verlassen der Philharmonie regnete es übrigens, wie konnte man
es auch anders erwarten?
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