Tschaikowski
kann auch atonal sein - manchmal.
Auf
jeden Fall, wenn Jiri Kout ans Pult gestellt wird. Dann kratzen die
Streicher und die Holzbläser produzieren Töne, die man noch nie gehört
hat, aber eigentlich auch nicht hören möchte. Die Einsätze kamen an
diesem Abend noch unkoordinierter aus dem Graben als an den beiden vorangegangenen
Abenden dieser Serie. Sänger und Chor hatten es nicht leicht mit dieser
angeblichen musikalischen Leitung. Es hat wohl selten in einem Opernhaus
eine Dirigenten- und Orchesterleistung gegeben, die man noch schwächer
nennen kann.
Eva
JOHANSSON hätte das beinahe die Briefszene gekostet. Ständige nicht
nachvollziehbare Tempiwechsel machten ihr den kompositionsgetreuen Gesang
schwer, doch sie fing sich und zeichnete sowohl als junge Tatjana als
auch als Gremina ein rollengerechtes Bild. Manchmal paßt ihr gewaltiger
Sopran nicht recht in die Gefühlsausbrüche eines Teenagers des frühen
19. Jahrhunderts, beeindruckend ist eine solche Stimmgewalt allemal.
Es
scheint schwer vorstellbar, daß es einen Onegin geben kann, der näher
an Puschkin und Tschaikowski ist als Lucio GALLO. Er bringt jedes Mal
aufs Neue Nuancen ein, die der Figur jeweils andere Schattierungen geben.
Seine arrogante Haltung ist immer nur Maske, die im Laufe des Abends
mehr und mehr Risse bekommt, um dann im letzten Bild endgültig vor seinen
Gefühlen hinweggeschwemmt zu werden. Allein der Moment, in dem er wie
ein getriebenes Tier die Tür schließt, um Tatjana anzubetteln, ihn zu
lieben, ist schon erwähnenswert. Sein lange nicht mehr nur lyrischer
Bariton durchmißt die Entwicklung der Figur ebenfalls, diesmal mit einer
großen Zahl von wunderschönen, ans Herz gehenden pianissimi noch veredelt.
Olga
ist wahrlich enttäuscht, daß sich der gutaussehende, interessante Fremde
lieber ihrer Schwester zuwendet, aber Elena ZHIDKOVA kann mehr als nur
rollendeckend schmollen. Sie kokettiert mit ihrer Stimme, tanzt gekonnt
Walzer wie Kotillon und offenbart einen schönen Mezzo, der bald mehr
als nur eine zweite Tochter vom Land über die Rampe bringen wird. Fast
schade, denn sie ist Olga in every aspect.
Jonas
DEGERFELDTs Lenski ist hingerissenen von (dieser) Olga, der Liebe und
dem Leben überhaupt. Diese Rolleninterpretation gepaart mit der schönen
Stimme des jungen Tenors produziert ein Bild des puschkinischen Dichters,
an dem man die tragische Entwicklung in jeder Phase miterleben und nachvollziehen
kann. Das Geständnis seiner Liebe Olga gegenüber, die wehmütige Rückbesinnung
an schönere Tage zu Ende des 4. Bildes und schließlich Lenskis Arie,
die an diesem Abend sehr sinnlich klang, bannen den Zuhörer durch akzentuierten
Gesang und eine - großartig gespielte - Leidensfähigkeit, wie sie nur
ein Poet ausdrücken kann.
Peter
MAUS (Triquet) macht nicht den Fehler, seinen prominenteren Rollenvorgänger
Waldemar Kmentt zu imitieren, sondern legt die Rolle stimmlich mehr
als Parodie auf einen schlechten Tenor an, ohne dabei auch nur ein einziges
Mal der Versuchung nachzugeben, dies zu übertreiben. Ganz im Gegensatz
zu Kaja BORRIS als Amme, die bereits im vergangenen Jahr an darstellerischer
und stimmlicher Peinlichkeit unüberbietbar erschien. Nun, sie schaffte
auch das.
Ute
WALTHER (Larina) hatte in dieser Vorstellung ihren bisher besten Abend
in darstellerischer Hinsicht. Auch in der Sprachbehandlung ging es aufwärts.
Es ist erfreulich zu sehen, daß die Künstlerin in der Lage ist, aus
Fehlern vergangener Jahre zu lernen. Gleb NIKOLSKIJ als Gremin stellte
ein höchst überflüssiges Engagement dar. Diese Rolle ist in vergangenen
Jahren wesentlich besser aus dem Haus heraus besetzt worden. Nikolskij
fehlte es an so ziemlich allem, was ein Gremin haben muß, um mit seinem
kurzen Auftritt in Erinnerung zu blieben: gute Phrasierung, saubere
Aussprache und Präsenz.
Der
Chor litt am meisten unter der Unfähigkeit Kouts. Waren die Chorpassagen
in den vergangenen Serien noch ein Garant musikalischer Qualität gewesen,
so zerfaserte jetzt jeder Auftritt, daß man zeitweilig den Eindruck
gewann, es gäbe ein Echo im Haus.
Das
ORCHESTER der DOB leistete sich kapitale Fehler, was allerdings dem
anwesenden Publikum, mehrheitlich Teilnehmer des gerade stattfindenden
Richard-Wagner-Kongresses, nicht weiter auffiel. Man bejubelte, ohne
groß Unterschiede zu machen, Tschaikowskis Oper in der Orchester-Version
von Kout-Penderecki... MK & AHS