Es
ist allgemein bekannt, daß der "Freischütz" zu den Stücken der Opernliteratur
zählt, vor dem die meisten Regisseure, wollen sie eine gelungene Inszenierung
abliefern, den allergrößten Respekt haben, weil es offensichtlich nur
zwei Möglichkeiten zu geben scheint, dieses wahrhaft nicht unproblematische
Sujet umzusetzen. Entweder progressiv-modern und manchmal nicht ganz nachvollziehbar
wie kürzlich Peter Konwitschny an der Hamburgischen Staatsoper oder landauf
landab mit deutscher Waldromantik und der obligatorischen Wildsau.
Daß
es aber auch komplett anders geht, zeigt Christof NEL in seiner Deutung
auf überaus inspirierte und faszinierende Weise. Es gibt auch in seiner
Inszenierung die Wildsau, allerdings als ironisierendes Element im Hinblick
auf die oben beschriebenen Allerwelts-Regiearbeiten. Christof Nel zerlegt
diese Oper Stück für Stück, offenbart dadurch ein Seelendrama der einzelnen
Personen und fügt dies zu einem harmonischen Ganzen wieder zusammen. Die
Geschichte beginnt bereits während der Ouvertüre mit Max, der sich unruhig
auf einer Schlafstatt - offensichtlich von Angstträumen gepeinigt - wälzt.
Und
genau diese Angst ist es, die Nel deutlich hervorhebt. Die Angst vor dem
Probe-"Schuß", die Angst vor einer anderen sozialen Schicht durch die
bevorstehende Heirat mit Agathe, vielleicht sogar die Angst vor der Frau
an sich - also Versagensängste, die sich in dieser Deutung auf sexueller
Ebene abspielen. Deshalb taucht in diesem Traum auch Samiel bereits als
das personifizierte Böse auf - und zwar in Agathes Brautkleid!
Diesen
Ansatz verliert der Regisseur nie aus den Augen, nein er führt ihn konsequent
weiter. Zum Beispiel, wenn einige Damen des Chores versuchen, Max mit
entblößten Brüsten zu irritieren und zwar genau dann, wenn er glaubt,
sein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden zu haben.
Ein
großes Manko der meisten "Freischütz"-Inszenierungen ist und bleibt die
Szene in der Wolfsschlucht. Diese als "intimes Kammerspiel" auf kleinstem
Raum darzustellen, raubte einem schlichtweg den Atem. Besonders hier kommt
dem Chor der Komischen Oper eine überaus wichtige Rolle zu, denn der Regisseur
animierte seine Damen und Herren zu inspiriertem Spiel (die gesamte Chorführung
war eine Meisterleistung!) - noch dazu in einer Repertoirevorstellung.
Nel macht besonders in dieser Schlüsselszene den gesellschaftlichen Verfall
einer desillusionierten, und wahrscheinlich gerade deshalb so vergnügungssüchtigen
Gesellschaft absolut greifbar.
Völlig
euphorisiert und gespannt auf den weiteren Verlauf des Abends gingen wir
in die Pause. Dort sahen (und hörten) wir dann Verfechter der offensichtlich
erwarteten Weberschen (Freischütz)-Romantik unter lauten Unmutsäußerungen
fluchtartig das Opernhaus verlassen! Es seien an dieser Stelle nicht alle
Einzelheiten der Inszenierungen vorweggenommen...
Die
gesanglichen Leistungen taten ein übriges, um diesen Abend zu einem echten
Highlight werden zu lassen. Allen voran Ralf WILLERSHÄUSER als Max, der
aufgrund einer Knieverletzung als indisponiert angekündigt war und deshalb
leicht hinkte, was aber erstaunlich gut zu seiner Rolleninterpretation
passte.
Der
Kaspar, verkörpert von Hans-Peter SCHEIDEGGER als diabolischer Gegenspieler
bot ein faszinierendes gesangliches und darstellerisches Portrait - man
glaubte ihm jedes Wort.
Bettina
JENSEN als Agathe einmal nicht nur als leidende, sondern auch als starke,
selbstbewußte Frau, die aber auch - ähnlich wie Max - von Angstträumen
und bösen Vorahnungen geplagt wird. Ein echter Genuß ihr "Leise, leise....."
- Pianokultur in absoluter Vollendung!
Zu
guter Letzt Heidi PERSON als Ännchen, endlich einmal nicht von der Regie
vernachlässigt, sondern vom Habitus eine Frau, die dem klassischen Bild
einer Karriere-Powerfrau in der obersten Vorstandsetage zur Ehre gereicht
hätte.
Über
Matthias HÖLLE als Eremit läßt sich nur sagen, daß er erneut eine ausgezeichnete
und faszinierende Leistung bot. Die Comprimarii waren überaus adäquat
besetzt - insgesamt eine mehr als herausragende Ensembleleistung!
Das
Bühnenbild von Jens KILIAN war schlichtweg großartig und bot auf der sich
ständig in Bewegung befindlichen Bühne immer wieder neue, spannende Einblicke
- einer der nachhaltigsten Eindrücke des Abends. In seiner Schlichtheit
einerseits, aber auch der mehr als durchdachten Kompliziertheit andererseits
fühlte man sich an Bühnenkonstruktionen von Erich Wonder erinnert. GRANDIOS!!
Das
Dirigat von Vladimir JUROWSKI paßte genau zu dem gesamten Abend, ist es
doch einfach nur als brillant zu bezeichnen. Nie hat man diese Musik so
transparent, genau, in all ihren Brüchen und dunklen Farbnuancen gehört
wie hier. Ein wahrer Klangzauberer im Dienste Weberscher Musik.
Wenn
man heute den "Freischütz" auf die Bühne bringt, dann kann - nein, dann
DARF er nicht mehr anders gemacht werden. Diese Arbeit ist das Nonplusultra!
Fazit: Berlin ist immer eine Reise wert, seit der Premiere dieses "Freischütz"
mehr denn je! Ralf-Michael Ziebold
|