I„Auf,
liebe Sänger! Greifet in die Saiten!“ So läutet der Landgraf Hermann in
Wagners „Tannhäuser“ den der Oper ihren etwas unbekannteren Titel gebenden
Sängerwettstreit auf der Wartburg ein. Die Sänger treten an, der Titelheld
fällt in Ungnade mit einem Lied, dessen Inhalt heutzutage allemal in den
medialen Moralgerichten (sprich Talkshows oder Boulevardmagazine (Print
und TV)) für gespielt-moralisches Aufsehen sorgen würde („Wie kann er
sowas denn nur sagen?!“), wird gläubig und haut ab nach Rom, um dort zu
erfahren, daß erst ein oller Pilgerstab grünen muß, bis er erlöst wird.
Der Stab tut es (ein biologisches Wunder!!!), nur zu spät, was die unangenehme
Folge hat, daß die Oper doppelt letal ausgeht. So weit, so tot, nur frage
ich mich, WER nun eigentlich den Wettstreit und damit Elisabeth gewonnen
hat (darüber, daß der Landgraf seine eigene Nichte feilbietet, echauffiert
sich natürlich niemand...)? – Über was man sich nicht so alles Gedanken
macht, um in einer langweiligen Aufführung nicht einzuschlafen...
Also,
was wissen wir über den „Thuringia-Love-Song-Contest“? Das Ziel ist es,
„der Liebe Wesen mir (Hermann) zu ergründen“. Die Teilnehmer sind nach
unserem Kenntnisstand Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide,
Biterolf und eben Tannhäuser (Reinmar und Heinrich der Schreiben sind
zwar anwesend, leisten jedoch keinen Teilnehmerbeitrag).
Der
Kampf beginnt mit einer für jeden Statistiker, der mehr als viermal in
einer Aufführung der Oper war, haarsträubenden Feststellung: Die Wahrscheinlichkeit,
daß Wolfram anfängt, liegt nicht bei 1:4 (resp. 1:x, wobei x die Anzahl
der Teilnehmer repräsentiert; wir wissen ja nicht, ob es nach dem Getümmel
weiterging), sondern bei 1:1. Theoretisch ist das nicht möglich! Haben
die Edelknaben etwa geschummelt? Können wir gar von einer Bestechung eines
der Konkurrenten ausgehen, die Wolfram den unglücklichen Posten des Ersten
zuschustern wollten???
Wenden
wir uns den Inhalten der einzelnen Beiträge und den Reaktionen des Auditoriums
zu: Wolfram hat mit Abstand den längsten, aber auch schwülstigsten Text.
Zunächst einmal schleimt er sich elendig lange bei dem geneigten Publikum
ein, um dann ein Gefühl von „Komm auf den Punkt, Junge!“ auszulösen. Für
die Feststellung, daß er eher auf platonische Beziehungen abfährt, braucht
er gute fünf Minuten! Die Zuhörer danken es ihm in „beifälliger Bewegung“
(Quelle: Booklet der Aufnahme mit Beirer, Ludwig und Wächter unter Karajan,
live Wiener Staatsoper 1963) à la „Danke, rufen Sie uns nicht an, wir
rufen Sie an“. Seine Aussagen kann Tannhäuser nicht so stehen lassen und
erklärt, daß die Sehnsucht auch ein wichtiges Element der Liebe sei, er
benutzt keine großen Metaphern wie sein Vorsänger, sondern spricht in
klaren Worten.
In
zarter Empörung erhebt sich nun der jedem Schüler bekannte Lehrer von
Walther von Stolzing und bestärkt die Thesen von Wolfram mit den Worten
„Legst du an seinen Quell die Lippen, zu kühlen frevle Leidenschaft, ja
wolltest du am Rand nur nippen, wich’ ewig ihm die Wunderkraft“. Die Gäste
preisen sein Lied, das musikalisch wie ich finde hinter Wolframs liegt,
Tannhäuser, der alte Lüstling, kann wieder nicht an sich halten und tut
zum wiederholten Male seine Ansichten kund, was Biterolf auf den Plan
ruft, der in ähnlichen Worten wie seine Kollegen argumentiert, nur in
eher kämpferischer Art und Weise: Er streitet für die hehre, die platonische
Liebe, die sexuelle ist ihm „wohlfeil keines Streiches wert“, was über
kurz oder lang zum Einbruch der Bevölkerungspyramide muß, zumal die Gentechnik
zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit entwickelt war, also im Endeffekt
nicht wirklich produktiv ist... „In tobendem Beifall“ huldigen die demographisch
wenig gebildeten Gäste seinem Vortrag, und Tannhäusers Schicksal nimmt
seinen Lauf.
Also
nach den Reaktionen des Publikums müßte Biterolf den Kampf für sich entschieden
haben, von der musikalischen Seite her Wolfram. Der Titelheld kann es
nicht gewesen sein. Zuerst einmal hat er sich nicht den Regeln gebeugt
(einer nach dem anderen), außerdem waren seine Ansichten für die damaligen
Zeiten zu radikal. Nicht selten ist Walther jedoch der bessere Interpret
auf der Bühne, während Biterolf gerne mit einem öden Ensemblebaß besetzt
wird.
Oder
wurde der Wettkampf ob der desaströsen Umstände vielleicht sogar abgeblasen
und dieser Artikel ist vollkommen wertlos???
Etwas
Aufschluß könnte der dritte Aufzug geben. Sowohl Wolfram als auch Elisabeth
sind äußerst betrübt. Das läßt für mich drei Schlüsse zu: 1. Eschenbach
hat gewonnen, Elisabeth hat festgestellt, daß sie ihn nicht mag und sich
von ihm getrennt, 2. Walther oder Biterolf hat gewonnen und nun ist Elisabeth
unglücklich über einen der beiden und Wolfram, daß er sie nicht hat und
3. Walther oder Biterolf hat gewonnen und festgestellt, daß er Elisabeth
nicht mag und hat sie abblitzen lassen. Jedenfalls hätte es eine wundervolle
Liebesgeschichte werden können, wenn Elisabeth nach ihrem Gebet noch ca.
6-7 Minuten geblieben wäre, denn dann hätte sie Wolframs Lied an den Abendstern
lauschen können, das ich als eines der schönsten Stücke, die Wagner je
schrieb, erachte und wenn sie das nicht umgestimmt hätte, dann weiß ich
auch nicht!
By
the way: Warum wird Tannhäuser eigentlich in der Oper nur mit „Heinrich“
angeredet? Laut Lexikon hatte das historische Original gar keinen Vornamen,
sondern lediglich ein schlichtes „der“. Haben die Sänger ihn vielleicht
mit jemandem verwechselt, als sie ihn aufforderten, wieder zurück zu seiner
ehemaligen Wirkungsstätte zu kehren? Wolfgang Schmoller
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