Interview mit Vsevolod Grivnov (August 2008)
Es
gibt sie - natürlich - die guten, talentierten Sänger jenseits des Boulevards.
Wenn man Augen und Ohren offenhält, fallen einem rasch die außergewöhnlichen
Talente im täglichen Opernbetrieb auf. Der
Tenor Vsevolod Grivnov ist ein Beispiel dafür.
Der
Londoner "Independent" pries bereits 1995 den "charakteristischen russischen
Ton in seiner Stimme", die "New York Times" erkor seinen Gottesnarren
in der "Boris Godunow"-Produktion der Opera Bastille 2002 zu einem der
"Highlights des Abends" und .die "Neue Zürcher Zeitung" befand im Jahr
2006, er versehe den Novizen Grigori […] mit aller stimmlichen Strahlkraft.
Vsevolod
Grivnov wollte nie etwas anderes als Sänger/Musiker werden. Es habe
nie einen anderen Berufswunsch gegeben "nur Musiker, vielleicht Dirigent,
vielleicht Sänger", berichtet er. Familiär vorbelastet war er dabei
eigentlich nicht. In seiner Familie gehe man anderen Berufen nach, allerdings
besitze sein Vater eine sehr gute Stimme, keine professionell ausgebildete,
aber eine gute, erzählt der Tenor. Bereits im Alter von fünf Jahren
begann seine musikalische Ausbildung. Früh hat er sich mit Material
aus der Klavierbibliothek beschäftigt und sich so die Musik erschlossen.
Nach
dem Stimmbruch sang er als Bariton im Chor. Er absolvierte eine Ausbildung
zum Chordirigenten und studierte schließlich an der Russischen Gnessin-Musikakademie
Moskau Gesang bei Evgeny Belov, einem Solisten des Bolschoi-Theaters.
Nach dem Studium lud ihn die Moscow City Opera ein, dort als Solist
zu arbeiten.
Anschließend
war er Ensemblemitglied in Nizza sowie an der Royal Danish Opera. Er
sang Macduff an der Deutschen Staatsoper in Berlin und Lenski der Deutschen
Oper Berlin, trat in dieser Rolle an der Mailänder Scala ebenso auf
wie in Prokofieffs "Verlobung im Kloster" beim Glyndebourne Festival.
Seit 2001 ist er Solist am Bolschoi-Theater.
Sein
Repertoire ist vielfältig und umfaßt nicht allein das russische Repertoire,
mit dessen Interpretation er sich in Europa vornehmlich einem Namen
gemacht hat. So finden z.B. Edgardo, Riccardo, Don Ottavio und Cileas
Maurizio ebenso einen Platz wie Anatol Kuragin oder der Prinz aus "Rusalka".
Hinzu kommen verschiedenste Konzertwerke, Oratorien und Messen.
Nach
seiner Lieblingsrolle befragt, bekennt Vsevolod Grivnov: "Ich mag sie
alle… ich mag gute Musik, gute Rollen.". Neben dem Lenski, seiner ersten
Rolle, begeistert ihn im russischen Repertoire insbesondere Albert in
Rachmaninows "Der geizige Ritter", den er u.a. in diesem Juli in der
Lübecker MuK sang.
Für
Tenöre gebe es sehr viel schöne Musik, sagt er. "Ich habe auch bereits
moderne Musik gesungen." Darunter die Faust-Kantate von Alfred Schnittke.
"Das ist eine sehr schwierige Rolle für den Tenor, sehr, sehr hoch,
aber ich mag es." Andererseits sei er konservativ. Ihm gefallen die
Partien Verdis, Donizetti, Tschaikowski etc.
In
diesem Jahr kam Vsevolod Grivnov im Rahmen des Schleswig-Holstein Musikfestivals
nach Norddeutschland. Er trug während dreier Konzerten in Lübeck, Kiel
und der Hamburger Musikhalle dazu bei, dem deutschen Publikum den diesjährigen
Schwerpunkt, die russische Musik, näher zu bringen.
Im
September wird er in San Francisco den falschen Dimitri in "Boris Godunow"
und anschließend Alfredo in der "La Traviata", eine Rolle, die er sehr
mag, singen. Danach kann man ihn in Dublin in Tschaikowskis "Mazeppa"
hören. In Lissabon wird er in Rossinis "Stabat Mater" singen. Zudem
sind in Spanien Konzerte, u.a. Mendelssohns "Walpurgisnacht" mit dem
Navarra Symphony Orchestra im März 2009, geplant. Ein Galakonzert mit
Vsevolod Grivnov, begleitet vom Bilkent Symphony Orchestra, wird es
Anfang April 2009 in Ankara geben.
In
bezug auf Inszenierungen wünscht der Tenor sich "talentierte Regisseure".
Es sei wichtig, daß die Inszenierung und Musik zusammengehen, "wenn
Musik und Inszenierung getrennt werden, ist das furchtbar".
Begeistert
berichtet er von der Zusammenarbeit mit gleich drei Dirigenten der Familie
Jurowski: Vladmir, mit dem ihn eine Freundschaft verbindet, Dmitri,
mit dem er im vergangenen Februar auftrat, und - bei verschiedenen Konzerten
und Aufnahmen - Michail Jurowski.
Abseits
seines Berufslebens hört er neben Oper und sinfonischer Musik am liebsten
Jazz. Seine Liebe gehöre dem Klavierjazz. Peterson, Garner und Bill
Evans seien seine Favoriten.
In
Bezug auf eigene Tonträger sei die Aufnahme der Kölner Aufführung von
Alexander Dargomyschskis "Russalka" in Arbeit, erzählt er. Sehr wichtig
sind ihm die CD-/DVD-Produktion "La Rossignol" mit James Colon sowie
die Aufnahme von Tschaikowskis "Opritschnik" aus Cagliari. Aber gerade
auch die Produktionen der Firma Chandos bieten ein sehr lebendiges Bild
über Stimme und Repertoire dieses Sängers. Neben Glasunovs Krönungsmesse
und dessen Erinnerungskantate liegen hier CD-Produktionen vom "Geizigen
Ritter", Symanowskis "Stabat Mater" und Schostakowitschs 10. Sinfonie
vor.
Schlußendlich
sei allerdings von unserer Seite ein Liveerlebnis unbedingt empfohlen.
Wenigen Sängern gelingt schlußendlich so mühelos das Wandern zwischen
den musikalischen Welten. AHS
P.S.
Vielen Dank an Etta Morgan von Askonas Holt, London für all die
Mühe. Thank you sooo much!