Interview mit Tigran Martirossian (März 2013)
Philippe
II., Mephistophele, Dossifei, Daland, Selim ("Il Turco in Italia"),
Dulcamara - das Repertoire, mit dem Tigran Martirossian das Publikum
in Hamburg bisher begeisterte, ist breit gefächert und anspruchsvoll.
Der seit 2005 fest an der Hamburgischen Staatsoper engagierte Baß beeindruckt
mit seiner ruhigen, bestimmten Professionalität.
Der
armenische Sänger stammt aus einer sehr musikalischen Familie, bei deren
Zusammenkünften stets auch gern und viel gesungen wurde. Von seiner
Mutter, einer professionellen und leidenschaftlichen Pianistin, wurden
er und sein Bruder angehalten, dieses Instrument ebenfalls zu erlernen,
doch bei Tigran Martirossian war das Interesse an technischen und physikalischen
Dingen lange Zeit größer als seine musikalischen Vorlieben. Zeitweise
studierte er sogar beides parallel.
Schließlich
wurde er am renommierten Moskauer Gnessin-Institut zum Gesangsstudium
angenommen, wodurch die Berufswahl endgültig zugunsten der Musik entschieden
war. Von der Arbeit mit seinem Lehrer, dem Baß Pavel Lisitsian, schwärmt
er noch heute.
Zu
seinem ersten Engagement an der Moskauer Neuen Oper kam er mit dreiundzwanzig
Jahren. "Ohne Erlaubnis meines Professors bin ich zum Vorsingen gegangen.
Zwei Wochen lang habe ich danach nicht dort angerufen, und dann dachte
ich, ich könnte mal anrufen, ich dachte ja nicht, daß sie mich genommen
haben. Die Frau am Telefon schrie: ‚Wo bist du? Du hast in zwei Wochen
Vorstellung!' Das war die erste professionelle Vorstellung, Cecil in
‚Maria Stuarda'." Nach drei Jahren an diesem Opernhaus und nach Abschluß
am Gnessin-Institut wurde er an das Bolschoi-Theater engagiert, wo er
unter anderem Pimen und Galitzky ("Fürst Igor") sang.
Durch
die Teilnahme an mehreren Wettbewerben ergaben sich auch Engagements
außerhalb Rußlands, so zum Beispiel in Lausanne als Salieri in Rimski-Korsakows
"Mozart und Salieri", als Warlaam in Frankfurt und zahlreiche Auftritte
in den USA, Großbritannien und Frankreich.
Das
Engagement als Ensemblemitglied in Hamburg ergab sich eher zufällig.
"Es war ein Vorsingen in Hamburg, aber nicht für ein Festengagement.
Dann kam eine e-mail von meiner Agentur, daß die Staatsoper mir einen
Festvertrag anbieten möchte. Ich habe mich sehr gefreut. Für mich war
es wichtig, auch eine gute Repertoire-Vorbereitung zu haben und mich
in Ruhe weiter zu entwickeln."
Wie
ist das mit den großen Rollen? Welche Wünsche sind da noch offen? "Boris
Godunow würde ich gern singen, es ist eine sehr psychologische Rolle,
ich habe sie gelernt, aber gemerkt, daß so eine Rolle einen kontrolliert.
Man muß so stark sein, daß man musikalisch, sprachlich und als Charakter
dagegen bestehen kann." Auch Zaccaria in "Nabucco" steht auf seiner
Wunschliste. "Das ist Verdi, das gefällt mir, das ist nicht so leicht,
aber macht mir Spaß."
"Ich
habe meine Lieblingsrollen schon gesungen", sagt Tigran Martirossian
sehr bestimmt. Die eine ist Philipp II., wobei aus seiner Sicht sowohl
die italienische, als auch die französische Fassung Vorteile haben,
die andere ist Mephistophele, die er in den nächsten Monaten wieder
singen wird. Der Sänger würde gern mehr aus dem französischen Repertoire
singen, beispielsweise Massenets Don Quichotte, aber das werde leider
so selten aufgeführt.
"Große
Rollen brauchen Zeit, um gut vorbereitet zu werden." Bis eine Rolle
richtig zu seiner Zufriedenheit sitze, vergingen durchaus einmal zwei
Jahre. "Es wächst einfach ständig."
Philipp
nennt er als Beispiel. "Ich habe bis letztes Jahr gedacht, er ist ein
armer schwacher Mann, und mit der Zeit habe ich gemerkt, daß das nicht
hundertprozentig stimmt. Er ist König, er hat soviel Macht. Besonders
im Duett mit dem Großinquisitor, wo er zwar sagt, was kann ich gegen
diese Macht tun, ist es trotzdem erstaunlich, was er wagt, dieser Macht
zu sagen. Ich habe mir gedacht, daß es interessant wäre, wenn man die
gesamten Emotionen verbreitern könnte, mehr Aggression, mehr Stärke,
aber auch mehr Lyrik." Vom Gelingen dieser Intention konnte man sich
in der aktuellen Spielzeit überzeugen.
Eine
weitere Glanzrolle, der Dossifei in "Chowaschtschina", fiel ihm sehr
leicht. "Das liegt vielleicht daran, daß ich als Mensch ihm ähnlich
bin mit der eher ruhigen Art. Auch gesanglich war es leicht. Ich habe
von Anfang an gewußt, daß ich mich mit den Kantilenen wohlfühlen würde.
Ich würde mich freuen, wenn diese Rolle wiederkäme."
Das
Rollenstudium fängt er mit Text und Musik gleichzeitig an, erst danach
folgt die Ausarbeitung der Figur. "Stimmfarben sind für mich sehr wichtig.
Wenn alles nur mit einer Farbe gesungen wird, ist das ein bißchen langweilig.
Die größten Sänger der Welt haben immer unterschiedliche Farben benutzt."
Als Beispiel nennt er Tito Gobbi, der aus seiner Sicht stets für jeden
Ton, jede Note genau die richtige Farbe gefunden hat. "Das ist Musik,
dann macht es Spaß."
Der
Baß mag sowohl die ernsten als auch die komischen Rollen seines Repertoires.
"Im Kino liebe ich Tragikomödien, die beide Seiten zeigen, aber das
passiert in der Oper fast nie."
Privat
hört Tigran Martirossan eher Symphonien, Klavierkonzerte und Kammermusik
sowie Liedgesang. "Ich möchte selbst mehr Liederabende singen. Das ist
eine Art Musik, da geht mir das Herz auf." Er bereitet derzeit zusammen
mit einem Pianisten Liedprogramme für Aufnahmen vor, die er unbedingt
gern machen würde. "Ich hätte gern je eine CD mit deutschen, vielleicht
russischen und französischen Liedern. Das Programm wird gerade aufgebaut."
Für
die nähere Zukunft stehen Verdi-Partien, Wagner und auch Borodin auf
dem Programm. Man darf gespannt sein, was das Verdi-/Wagner-Jahr hier
noch bringt. Zuviel verraten wollte der Baß jedenfalls nicht.
Wir
freuen uns auf das, was auch immer noch kommen mag - und sicherlich
freut sich der eine oder andere im Hamburger Publikum mit. MK & AHS