Es
war im Jahr 2001, als ich, eigentlich begierig auf die entsprechende
Kupfer-Inszenierung, in einer Aufführung des "Fliegenden Holländers"
an der Staatsoper Unter den Linden saß, und plötzlich dieser Tenor auf
die Bühne kam, der Erik von einer Randerscheinung zur Figur aus Fleisch
und Blut machte. Danach habe ich mich bei jeder weiteren von diesem
Sänger interpretierten Rolle, egal ob Loge, Laca, Siegmund, Max oder
schließlich Živný, neben seiner ungeheuer reizvollen Stimme immer wieder
an der komplexen Ausarbeitung des jeweiligen Charakters erfreuen können.
Zwischen
zwei Serien mit Wiederaufnahmen der Janacek-Opern "Jenufa" und "Osud"
an der Wiener Staatsoper ergab sich nun die Möglichkeit, Jorma SILVASTI
einige Fragen über Sein, Werden und den Opernbetrieb allgemein zu stellen.
"Ich
bin ein finnischer Tenor, geboren 1959," sagt der Sänger zu Beginn unseres
Gesprächs, "und seit nun 26 Jahren im Beruf." Dabei lacht er herzlich.
Etwas, das sich durch die gesamte Unterhaltung zieht, ist sein erfrischend
trockener Humor.
Nach
dem Studium in Savonlinna und an der Sibelius-Akademie in Helsinki begann
Jorma Silvastis musikalische Laufbahn an der Finnischen Nationaloper
in Helsinki, der er immer noch verbunden ist, bevor er in Frankfurt
a.M., am Theater Krefeld-Mönchengladbach sowie am Staatstheater Karlsruhe
erste Theatererfahrungen sammelte.
"Ich
bin immer jemand gewesen, der ins kalte Wasser gesprungen ist, und habe
die Sachen so genommen, wie sie kamen." Er habe nie richtig geplant,
berichtet er, so wie es oft in diesem Beruf sei, man müsse Talent haben,
aber ebenso das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
"Und ich habe dieses Glück bisher gehabt."
Die
Liste seines Repertoires liest sich entsprechend. Bunt gemixt, aber
ebenso anspruchsvoll, ist die Rollenauswahl von Mozart bis Sallinen.
"Das Instrument in mir läßt es zu, ein ziemlich weites Repertoire zu
haben, und dadurch ist mein Beruf sehr interessant."
Er
scheue den Ausdruck "Spezialist", der Musiker sehr oft verliehen werde,
und schätze die Kollegen, Instrumentalisten und Dirigenten, die sich
mit dem gesamten Repertoire auseinandersetzen.
Neben
dem klassischen Repertoire hat der Tenor an einigen Uraufführungen mitgewirkt.
Gehört das zu seinen speziellen Interessensgebieten? "Wenn man Zeit
hat, macht man das gern, und wenn das Stück interessant ist." Es koste
sehr viel Zeit, das zu lernen, und so sei eine Uraufführung immer eine
Zeitfrage.
Die
große Anzahl an Rollen bringt in der heutigen Zeit auch eine sprachliche
Bandbreite mit sich. Ist Jorma Silvasti ein Sprachgenie? "Nein, ich
spreche ein bißchen Deutsch und Englisch. Das ist in Grunde genommen
alles. [...] Eine Sprache ist ja Musik, und jede Sprache hat eine Melodie.
Ich glaube, es ist nicht so schwierig für einen Musiker, die Sachen
wenigstens phonetisch richtig zu machen." Tschechisch sei eigentlich
die einzige Sprache, wo er sich selbst bewundere, bekennt er auf die
"Jenufa" in Prag angesprochen und lacht. "Das kommt meiner Stimme sehr
entgegen und ist z.Zt. meine Lieblingssprache beim Singen.
Seine
Rollen erarbeite er sich stets zuerst vom Text her. Dies sei für ihn
die Basis für jeden Opernrolle. Wenn es ins Details gehe, würde er zuerst
den Text rhythmisch einstudieren, und dann, wenn es eine Sprache sei,
die er nicht spricht, übersetzen, worum es geht. Die Noten kämen später.
"Ich
bin ein sogenannter Natursänger und habe nicht soviel Gesang studiert.
Deswegen vertraue ich vielleicht auch, was eine Rollengestaltung angeht,
unheimlich viel meinem Instinkt." Er möchte auf der Bühne sehr offen
sein, was die Gefühle einer Figur gegenüber angehe und habe keine besonderen
Tricks in bezug auf die Rollengestaltung. "Ich glaube, man muß als Sänger,
als Darsteller auf der Bühne so konzentriert sein, daß man das Publikum
für die Rolle, die Person, die man spielt, vergißt. Das will ich immer
probieren." Er mag die sängerische Selbstzufriedenheit, bei der man
das, was beim Publikum gut ankommt kalkuliert, nicht. Wenn man eine
gute Zusammenarbeit mit einem Regisseur gehabt habe, und das Konzept
stimme, dann ziehe man das ganz konsequent durch, so wie man das unter
diesen Rahmenbedingungen fühle. "Entweder gefällt es dem Publikum oder
nicht. Ich finde, wir sollten das nicht kalkulieren."
Es
sei schon lange Zeit so, daß die klassischen Opern quasi modernisiert
würden. "Deswegen kann es sogar sein, daß da eine Besuchergeneration
ist, die noch nie eine sogenannte ‚normale' Inszenierung gesehen haben.
Ich denke, wenn man jetzt etwas traditionelles macht, wäre das eigentlich
neu." Die Frage sei allerdings auch, was traditionell und was modern
sei, da die Komponisten nie geschrieben hätten, wie das Stück sein sollte.
Jorma Silvasti erzählt in diesem Zusammenhang von der Arbeit mit Aulis
Sallinen, bei dessen Opern er an vier Uraufführungen mitgewirkt hat.
"Mit ihm hatten wir oft diese Diskussion, wo ich als Sänger irgend etwas
frage, wie er das gemeint hat. Er will nicht unbedingt etwas dazu sagen."
Der Komponist habe dann gesagt, das Stück sei weg von seinen Händen,
sei fertig und "ihr macht das".
Auf
seinen Loge im Berliner "Rheingold" angesprochen, erklärt Jorma Silvasti,
daß diese Partie durch die Erarbeitung mit Götz Friedrich eine Schlüsselpartie
für ihn geworden sei. "Das ist der größte Glücksfall in meiner Karriere
gewesen, daß ich diesen Mann getroffen habe und mit ihm arbeiten konnte."
Direkte
Vorbilder im musikalischen Bereich hat er nicht, aber "als man jünger
war, gab es Stimmen, denen man gern zuhörte. Wunderlich und Björling
waren meine Lieblingssänger."
Befragt
danach, ob er Lampenfieber habe, erzählt der Tenor, daß er sehr gern
bezüglich des Repertoires seine Grenzen austeste. "Ich mache ab und
zu einen halben Schritt zu weit oder zu wenig. Dann hat man so ein gesundes
Lampenfieber, das man auf der Bühne braucht."
Teil
2