Februar
2013
Vor
einem Jahr schrieben wir, daß ein "neuer" Bariton immer neugierig macht.
Zu dieser Zeit hatte Rodion Pogossov gerade in Hamburg als Posa im französischen
"Don Carlos" debütiert. Wir waren mit unserer Begeisterung über die
stimmlichen und schauspielerischen Fähigkeiten dieses russischen Sängers
nicht allein. Das Publikum feierte seine Interpretation enthusiastisch.
Jetzt
kehrte Rodion Pogossov für einige "Don Carlos"-Vorstellungen nach Hamburg
zurück, was uns die Gelegenheit gab, ihm einige Fragen über seine Anfänge,
seine Karriere und noch einige andere Dinge zu stellen.
In
Moskau geboren war es nicht eine Laufbahn als Sänger, die er zunächst
im Sinn hatte. "Ich wollte immer ein Schauspieler werden", erzählt er
uns. "Unsere Lehrer am Konservatorium waren Schauspieler, wir hatten
Ballettstunden und Stimmübungen. Mein Lehrer entdeckte meine Stimme.
Ich war erst sechzehn Jahre alt. In meiner ersten Stunde in der Schauspielklasse
bat mein Lehrer mich etwas zu singen. Ich wußte nichts über klassische
Musik, kannte nur die großen Namen Verdi, Mozart, etc. Ich sang das
italienische Lied ‚Santa Lucia', das zu dieser Zeit sehr populär in
Rußland war."
Der
Sänger gibt uns ein Beispiel, wie seine Stimme damals geklungen haben
mag, mehr wie ein Knabensopran.
"Mein
Lehrer versuchte mir zu erklären, was Singen eigentlich ist, wie man
die Stimme stützt. Er sagte: ‚Kannst du es ein bißchen männlicher probieren?'"
Ein weiteres Gesangsbeispiel, das nicht wirklich besser klingt. "Ich
habe in dieser Weise gesungen. Es war wirklich komisch. Aber mein Lehrer
hat einen unglaublichen Job gemacht. Nach zwei Jahren sang ich bereits
als befände ich mich in einem Aufnahmestudio."
Seinen
Schlüsselmoment bezüglich der Oper war der Film "Amadeus" von Milos
Forman. "Ich habe begonnen, Oper und klassische Musik zu lieben, und
entdeckte eine neue Welt für mich." Nachdem er zwei Wettbewerbe gewonnen
hatte, wuchs das Selbstvertrauen als Sänger. "Ich hatte gelernt zu schauspielern,
weswegen also nicht beides kombinieren? Singen ist auch darstellen,
es geht auch um den Charakter und das Drama. Ein Schauspieler hat mehr
Freiheiten, für einen Sänger geht es immer um den Fokus, Fokus auf die
Stimme, die Technik, und wenn man Glück hat, vergißt man all dies und
ist frei davon. Das lerne ich immer noch."
Das
erste, was beim Lesen des Lebenslaufes des Baritons verwundert, ist
sein frühes Auftreten in Hauptrollen auf der Bühne der Metropolitan
Opera in New York. Wie ist es zu dieser glücklichen Fügung gekommen?
"Ich
war neunzehn, zwanzig Jahre alt. Ich war noch immer dabei alles über
die Oper und wie man singt zu lernen." Er wußte, daß die Met ein Opernhaus
ist, aber zur damaligen Zeit sprachen alle über die Scala als Ort, wo
man hinmöchte. "Ich sang in einer Meisterklasse für Lenore Rosenberg,
die Besetzungschefin der Met. Sie lud mich zu einem Vorsingen dort ein."
Sein Lehrer riet ihm dringend der Einladung Folge zu leisten, aber der
junge Sänger fühlte sich noch nicht bereit. Doch er ging schließlich
tatsächlich nach New York. "Es war gar nicht so beängstigend. Ich hatte
drei Vorsingen auf der Bühne für Maestro Levine, und sie boten mir diesen
Vertrag an. Schritt für Schritt während einer Zeitspanne von zweieinhalb
Jahren begriff er, worum es in diesem Beruf geht. "Der Standard dort
ist ziemlich hoch, und man setzt sich immer sehr unter Druck, um diese
Qualität zu erreichen."
Es
war eine bewußte Entscheidung des Baritons, dem sehr klassischen Pfad
bei der Wahl seiner Rollen zu folgen. "Auch dank meiner Agentur in London
habe ich Schritt für Schritt begonnen, denn ich war noch immer ein junger
Sänger mit einer jungen Stimme." Baritonstimmen beginnen erst in einem
bestimmten Alter aufzublühen. "Für mich fühlte es sich richtig an. Große
Rollen, zu denen man noch nicht bereit ist, können einen für den Rest
des Berufslebens ruinieren", sagt er und fügt hinzu, "ich halte es für
besser an kleineren Theatern zu beginnen, um das Selbstvertrauen und
die Erfahrung zu gewinnen, worauf man dann aufbauen kann. Für mich persönlich
ist das ein guter Weg."
Rodion
Pogossov bevorzugt längere Probenzeiten, bei denen es möglich ist, die
Charaktere zu entwickeln und die Phantasie und Vorstellungskraft zu
entdecken. Er mag auch Theaterexperimente wie in der "Don Carlos"-Produktion
in Hamburg, wenn diese von talentierten Leuten geschmackvoll umgesetzt
werden. "Ich glaube, daß diese Produktion gut funktioniert, und ich
sehe, daß im Publikum die Zuschauer schockiert sind", erzählt der Bariton
über das Autodafé, in dem Teile der Handlung in den Zuschauerraum verlegt
sind. "Es ist verrückt, wie in einer Parallelwelt. Ich mag diese Art,
wenn es nicht nur um ‚Rampensingen' geht. Es ist nah am Theater, aber
es ist natürlich Oper, man darf die Musik nicht vergessen."
Einer
seiner nächsten Pläne ist die Titelrolle in "Eugen Onegin" in Szczecin
im März und April dieses Jahres. Er sei sehr glücklich, in seiner Muttersprache
singen zu können. Onegin, den er bereits an der Welsh National Opera
in Cardiff gesungen hat, gehört neben Rossinis Figaro, Posa und Papageno
zu seinen Lieblingsrollen. "Ich liebe diese Rolle. Unglücklicherweise
bin ich körperlich kein Klischee-Onegin, groß und blond, aber ich liebe
diese Rolle. Ich mag es, weil es mich zu meinem Schauspielunterricht,
wo wir wirklich an der Figur gearbeitet haben, zurückführt. Und dann
ist da natürlich die unglaubliche Musik von Tschaikowsky. Ich würde
die Rolle liebend gern häufiger singen."
Eine
andere Rolle, die Rodion Pogossov in einigen Jahren gern singen würde,
ist Hamlet in der gleichnamigen Oper von Ambroise Thomas. Er möchte
in seinem Repertoire ein Gleichgewicht zwischen komischen und ernsten
Partien bewahren. "Der Komponist schrieb diese Rolle in einer Weise,
daß sie zu meinem Stimmtyp paßt. Und ich möchte meine Stimme nicht allein
für Figaro, Papageno, etc. aufsparen, denn ich denke, daß ich auch ernsthafte
Rollen singen kann." Eine
Auffassung, die er mit seiner ausgezeichneten Interpretation von Verdis
Posa bereits bewiesen hat.
Zusätzlich
würde er gern Belcanto singen, beispielsweise Bellinis "I Puritani"
um mit seiner Stimme diesen Stil auszuprobieren.
Darüber
hinaus sind da noch die großen Verdi-Rollen. Rodion Pogossov würde diese
gerne singen, aber noch nicht jetzt. "Ich versuche, realistisch zu sein.
Natürlich möchte ich diese Verdi-Rollen singen, aber derzeit wäre das
verfrüht. Ich weiß noch nicht, wie sich meine Stimme entwickeln wird.
Vielleicht in fünfzehn Jahren würde ich gerne drei, vier Verdi-Partien
singen. Das wäre sehr schön."
"Ich
mag Verdi. Ihn zu singen, ist Balsam für die Stimme", erklärt er und
ergänzt schwärmerisch, "eines Tages Rigoletto." Auf der Liste von Wunschpartien
stehen auch Valentin in Gounods "Faust" und Jeletzky in "Pique Dame".
"Kleine Rollen, ja", er lacht, "aber mit unglaublichen Arien."
Etwas,
das sofort die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf sich zieht, nicht nur
in unserem Gespräch mit Rodion Pogossov, sondern auch auf der Bühne
ist die Lebhaftigkeit und Lebendigkeit, mit welcher er Situationen beschreibt
und Figuren entwickelt. Beschenkt mit einem unglaublichen Sprachgefühl
und Fertigkeiten von seiner Muttersprache über Englisch, Italienisch,
Französisch bis zu auch Deutsch (seine Aussprache des Wortes "Zauberflöte"
klingt sehr deutsch), ist er in der Lage eine vollständige Bühnensituation
vor dem Auge des Gegenübers entstehen zu lassen.
Von
den gesanglichen Fähigkeiten in unterschiedlichen Sprachen kann man
sich selbst auf einer im Jahre 2007 aufgenommenen CD überzeugen, auf
welcher der Bariton Grieg, Cesti, Rachmaninov, Gluck, Mahler, Caldara,
Tchaikovsky und Yeston singt.
Irgendwann
in unserem Gespräch gesteht er: "Ich war immer eifersüchtig auf die
Tenöre. Wie viele schön Arien und Partien die haben! Baritone sind normalerweise
eifersüchtige alte Männer, deren Frau sie verlassen hat, oder sie mit
dem Tenor zusammen ist…" Die Gründe für diese Eifersucht mögen offenkundig
sein, aber am Ende wäre es schade, wenn die Oper einen so exzellenten
Bariton verlieren würde.
Die
Vorbereitung neuer Rollen beginnt er normalerweise von der musikalischen
Seite her. "Ich habe einen Pianisten in Moskau oder New York. Erst sehe
ich mir die Partitur an. Wenn das Stück nicht in meiner Muttersprache
ist, übersetze ich es. Ich ziehe es vor, dies selbst zu tun. Wenn man
das selbst macht, ist es keine wörtliche Übersetzung, aber es ist eine
eigene. Das hilft auch beim Lernen sehr gut." Dann liest er die zugrunde
liegende Geschichte, die Vorlage, und macht sich Gedanken über den Charakter,
gefolgt vom Lernen und dem Einprägen der Musik. "Es
ist immer zu wenig Zeit, und man macht es sehr schnell. Ich erinnere
eine Zeit, wo ich das Gefühl hatte, zehn Tage nonstop zu lernen. Man
schläft mit der Musik, man wacht auf mit der Musik, man ißt mit der
Musik."
Apropos
Musik, der Sänger erzählt, daß er derzeit außerhalb der Bühne Musik
z.B. von Lily Allen oder Jazz bevorzuge. Er gibt allerdings zu, daß
er als Teenager ein großer Nirvana-Fan gewesen sei. "Als ich fünfzehn
Jahre alt war, habe ich Nirvana sehr gemocht, aber wenn ich das heute
höre, werde ich traurig."
Am
Ende unseres Gespräches sagt Rodion Pogossov: "Ich wäre begeistert,
wenn die Menschen mehr die klassische Musik entdecken und mehr darauf
achten würden, was wir daran haben. Sie sollten die klassische Musik
nicht wie ein Museumsstück betrachten. Ich bin noch immer ein junger
Mensch, und ich habe mit Nirvana angefangen. Man muß neugierig sein.
Zufällig habe ich diesen Milos Forman-Film gesehen, und der hat mein
Leben geändert. Ich wünsche mir daher, daß die Menschen neugieriger
auf klassische Musik wären."
Seiner
Meinung nach sind vorrangig die Familien und Schulen für das Wecken
dieser Neugier besonders in jungen Menschen verantwortlich. Gefragt
danach, was die Opernhäuser tun könnten, um mehr junge Zuschauer zu
gewinnen, schlägt er vor: "Vielleicht ist es idealistisch, aber wenn
es auf eine ehrliche Weise gemacht wird, eine gute Produktion ohne viel
Drumherum, berührt sie. Es dringt dann mit der Musik direkt ins Herz
vor. Die Musik ist da sehr stark."
"Ich
wünschte, die Menschen würden sich mehr um diese Dinge kümmern, die
zum Aufbau der Seele und der Persönlichkeit gehören. Ich glaube, daß
es ohne diese Dinge hart ist zu reifen und eine interessante Person
zu sein oder sich als Mensch zu entwickeln."
Dem
ist unserer Meinung nichts hinzuzufügen. MK & AHS