Auf
die Frage nach Vorbildern im sängerischen Bereich nennt der Bariton
als erstes Piero Cappuccilli. "Er war ein unglaublicher Sänger. Ich
habe ihn zweimal in Covent Garden gesehen, und es war ein großes Erlebnis."
Er versuche nicht, wie Cappuccilli zu klingen, aber in ähnlicher Form
mit dem Text zu arbeiten. Cappuccillis Textwiedergabe sei stets so deutlich
gewesen.
Er
sei auch ein großer Fan von Renato Bruson, erzählt Gerard Quinn weiter.
Bruson würde immer versuchen, trotz der z.T. dramatischen Partien, die
er singe, als Belcantist zu singen und viel mit Text und Subtext zu
arbeiten.
"Ich
sehe mich als italienischer Bariton in der Kavalier-Art, nicht als hochdramatischer
Bariton wie es andere ‚Italiener' sind." Daher müsse er versuchen, die
Rollen mit Legato, Farben, Text- und Charakterarbeit zu gestalten. "Ich
habe versucht, das mit Scarpia so zu machen, weil es eine der größten
Herausforderungen ist. Es ist ein Mount Everest." Davon gäbe es zwei
in seinem Fach - Scarpia und Jago. In beiden Partien wird der Bariton
in der neuen Spielzeit in Lübeck zu hören sein.
Wenn
er sich eine Partie aussuchen könnte, welche würde er wählen? Gerard
Quinn nennt auf diese Frage ohne Zögern Simone Boccanegra. Diese Rolle
sei eine Krönung, "und er ist ein guter Mensch". Gut, ja, aber Boccanegra
ist Pirat gewesen!? "Er war ein Pirat, ja, aber in dem Stück sieht man
nicht sehr viel von dieser Seite von ihm. Ich habe es (als Cover) an
der Welsh National Opera gemeinsam mit meiner Frau gemacht. Die Musik
ist einfach grandios. Man muß versuchen, eine ganz große Palette von
Farben zu benutzen. Das ist immer eine Herausforderung."
Ein
weiterer Wunsch ist Macbeth, nicht nur weil er ein schottischer König
ist. Daneben nennt er noch den Dogen in "I due Foscari, Gerard in "Andrea
Chenier" und Falstaff und erzählt: "Ich habe Zurga in ‚Die Perlenfischer'
in drei verschiedenen englischen Übersetzungen gemacht. Irgendwann vielleicht
auf Französisch wäre nicht schlecht." Er liebe französische Musik.
Außerdem
würde er sich sehr freuen, wenn er wieder die Gelegenheit bekäme, Posa
in Verdis "Don Carlos", Carlo in "Ernani", Germont, Marcello und natürlich
Rigoletto und Don Giovanni ("Das war ein Erlebnis, das hier [in Lübeck]
zu machen.") zu singen.
Die
nächste neue Partie, in der Gerard Quinn am Theater Lübeck zu hören
sein, ist der Heerrufer im "Lohengrin". Dazu werden bis zum nächsten
Sommer neben Scarpia und Jago noch Le Marquis in Massenets "Grisélidis"
und der Conte Almaviva in "Le Nozze di Figaro" kommen.
Gern
würde der Bariton erneut Liederabende machen. Dies ist allerdings u.a.
eine Zeitfrage. "Ich habe früher viele Liederabende gemacht, und ich
mache es gern. Es ist eine andere Form von Arbeit, weil man kein Sicherheitsnetz
hat. Man ist allein ohne Kostüm und Maske mit einem Pianisten oder einem
kleinen Ensemble." Alles müsse natürlich auswendig vorgetragen werden,
und der vortragende Künstler müsse sich sehr konzentrieren. Dafür könne
das ganze Spektrum an Emotionen "und alles, das man hat", gezeigt werden.
Über
das Thema Lampenfieber ("Ich kriege immer ein bißchen Schmetterlinge
im Bauch.") kommen wir zu einer interessanten, britischen Aufführungsform.
"Ich habe früher in England mit mittleren Kompanien Stücke wie meinen
ersten Rigoletto und den Luna in ‚Il Trovatore' gemacht. Man spielt
in einer runden Bühne, und die Leute sind direkt da." Es sei manchmal
ein bißchen unbequem für das Publikum, so viele unterschiedliche Emotionen
so nah zu haben. Aber wenn die Zuschauer so dicht an z.T. enormen Emotionen
seien, könne man das Interesse auf ihren Gesichtern lesen und sie mit
dem Sänger atmen sehen. Eine Art direktes Feedback, anders, als wenn
man dieses Feedback in einer normalen Bühnensituation nur am Ende einer
Szene, einer Arie oder eines Aktes erhalten würde, weil man u.U. das
Publikum aufgrund der Scheinwerfer nicht sehen könne. Beide Formen hätten
ihre Vor- und Nachteile.
Neben
einer Aufnahme von "Il Trovatore" aus dem Jahr 1994 und dem Mitschnitt
einer Aufführung von Lortzings "Hans Sachs" in Osnabrück (2002) kann
man Gerard Quinn auch auf einer CD mit Werken von Joaquín Rodrigo mit
dem Royal Philharmonic Orchestra hören ("Cántico" - 2001). "Das war
ein wunderbares Erlebnis mit einem der größten Orchester der Welt. [...]
Wir haben vorher in Spanien ein paar Konzerte gemacht, und dann ging
es zurück nach London für eine Aufnahme."
So
es seine Zeit erlaubt, unterricht der Bariton auch. "Ich finde es sehr
wichtig, auch für mich selbst, und sehr interessant, Leuten in Worten
zu erklären, was man denkt und was helfen kann. Natürlich sind alle
Menschen anders." Man könne es nicht jedem, den man unterrichtet, mit
den gleichen Worten erklären. "Also, muß man Bilder finden, um Beispiele
zu geben."
Wieder
so ein Moment, in dem ich es bedaure, keine Videokamera dabei zu haben.
Aber letztendlich kann sich jeder selbst ein Bild von dem machen, was
der Künstler Gerard Quinn zu bieten hat, und wie es ihm gelingt, das
Publikum zu begeistern - jedes Mal aufs Neue und demnächst wieder auf
der Bühne des Lübecker Theaters. AHS