Interview mit Dovlet Nurgeldiyev (Dezember 2010)
In
Hamburg gibt es seit langem die
schöne Tradition junge Sänger am Beginn ihrer Karriere zu unterstützen.
Mit dem Internationalen Opernstudio wurde dieser Tradition ein erweiterter
Rahmen gegeben. Hier begann auch der vielversprechende junge Tenor Dovlet
Nurgeldiyev, der aus Ashgabat in Turkmenistan stammt, seinen beruflichen
Weg.
Wie
startet eine Opernkarriere in Turkmenistan? Ganz einfach: mit einer
Rockband. "Mit dreizehn oder vierzehn hatte ich eine Band, in der ich
eigentlich als Schlagzeuger angefangen habe. Ich sang alle möglichen
populären Lieder von Queen, Stevie Wonder, Elton John, Michael Jackson
und spielte gleichzeitig Schlagzeug. Wir waren in Ashgabat sehr beliebt,
haben mit der Musik Geld verdient und wurden sogar von den Botschaften
eingeladen, auf den dortigen Partys zu spielen."
Schließlich
wurde es zu kompliziert, gleichzeitig zu singen und Schlagzeug zu spielen,
also entschied die Band, daß Dovlet Nurgeldiyev nur noch singen sollte.
Irgendwann wurde ihm bewußt, daß das nicht genug sei, daß er etwas anderes
singen sollte. "Im Radio hörte ich Giuseppe di Stefano. Er sang ein
neapolitanisches Lied, und in diesem Moment war ich verloren. Ich wollte
dieses Lied finden. Ich wollte es singen, und ich verliebte mich vollkommen
in diese Musik. Von diesem Augenblick an dachte ich daran, ein Sänger
zu werden, allerdings kein Rocksänger, sondern ein klassischer Sänger."
Das
Repertoire wurde prompt erweitert. "O sole mio", "Marechiare" und andere
Tosti-Lieder wurden von der Band von da an auf den Partys ebenso wie
Oldies gespielt. Aufgrund der Begeisterung des Publikums nahm die Idee,
Sänger zu werden, weiter Gestalt an. "Ich stellte fest, daß ich es sehr
mochte, daß es dem Publikum auch gefiel und daß ich darüber ernsthaft
nachdenken sollte."
Seine
Familie indes besteht aus Ärzten. "Meine Mutter ist Ärztin. Mein Bruder
ist Arzt. Meine Schwester ist Ärztin, und es bestand eine große Chance,
daß auch ich ein Arzt werden würde", erzählt Nurgeldiyev. "Im letzten
Moment wurde mir bewußt, daß ich kein Arzt sein wollte. Ich ging selbstständig
zur Musikhochschule und bestand die Aufnahmeprüfung für die Gesangsklasse.
Meine Eltern sagten, ja, natürlich kannst du singen, und es klingt schön,
aber die Musikhochschule ist nichts Ernsthaftes. Du solltest auf die
medizinische Universität gehen. Ich entgegnete, daß ich das nicht tun
werde. Ich wollte Opernsänger werden." Nurgeldiyev studierte vier Jahre
sehr erfolgreich an der Musikhochschule von Ashgabat und danach noch
drei Jahre am Konservatorium.
2001
wurde das Opernhaus in Turkmenistan geschlossen. Dem jungen Sänger wurde
bewußt, daß er, wenn er jemals auf einer Bühne stehen wollte, woanders
hingehen mußte. "Also ging ich in die Niederlande." Er beendete sein
Studium in Tilburg und am Königlichen Konservatorium von Den Haag. Anschließend
sang er an der Hamburgischen Staatsoper vor und erhielt einen Platz
im hiesigen Opernstudio.
Eine
wichtige Lektion im Opernstudio war neben vielen anderen Dingen das
Überleben im Bühnenalltag. "Ich habe wirklich viel gelernt. Das Level
ist unglaublich hoch. Alle meine Kollegen waren sehr gute Sänger. Ich
schätze das Orchester und die Dirigenten in Hamburg sehr. Als junger
Sänger hat man hier die Chance, mit sehr guten Sängern, mit Stars, aufzutreten.
Das sind großartige Erfahrungen."
Ein
spezielles sängerisches Vorbild hat der Tenor nicht. "Giuseppe di Stefano
hat mich dazu gebracht, Opernsänger werden zu wollen. Aber inzwischen
habe ich eine andere Sichtweise entwickelt." Er bewundere ihn noch immer,
doch seine Art zu singen, sei mit den vielen offenen Tönen keine moderne.
"So singt man heute nicht mehr." Auch Mario del Monaco schätzt er als
Tenor. Nurgeldiyev bewundert an ihm wie an di Stefano besonders deren
Emotionalität und Lebendigkeit. "Wenn man sie hört, fühlt man unmittelbar
etwas." Ihm ist es wichtig, daß das Publikum nicht allein einen vokalen,
sondern einen emotionalen Eindruck mit nach Hause nimmt, daß es fühlt,
was der Sänger ausdrücken möchte, daß es berührt ist. "Ich verehre Fritz
Wunderlich uneingeschränkt. Er war einfach großartig. Die Deutschen
sollten wirklich stolz auf ihn sein."
Nurgeldiyevs
Debüt erfolgte als Fenton in "Falstaff" am 6. September 2008. Das Hamburger
Publikum war begeistert. Neben vielen kleinen Rollen wie Gaston ("Traviata")
oder Arturo ("Lucia di Lammermoor") und als Satyavan der Opernstudio-Produktion
"About death" hatte er schließlich die Möglichkeit als Don Ottavio in
die Fußstapfen von Fritz Wunderlich zu treten. Selten hat ein Rollendebütant
sich diese Rolle mit soviel Selbstbewußtsein und scheinbar ohne jegliche
Nervosität so zu eigen gemacht. Sowohl in dieser Partie als auch als
Fenton fühlt sich der Tenor vollkommen zuhause.
Seit
der aktuellen Spielzeit ist Dovlet Nurgeldiyev Ensemblemitglied der
Hamburgischen Staatsoper. Im Oktober 2010 sang er sehr erfolgreich seinen
ersten Alfredo ("Ich weiß, daß dies absolut meine Rolle ist, und ich
sie mein ganzes Leben lang singen werde."), dem im Februar 2011 der
Lenski in Hamburg folgen wird.
Auch
bei verschiedenen Wettbewerben konnte der junge Sänger sein Können beweisen.
So vertrat er die Hamburgische Staatsoper im Jahr 2009 beim "Internationalen
Gesangswettbewerb Stella Maris" an Bord der MS "Europa" und gewann hier
Probeaufnahmen mit der Deutschen Grammophon, die im November 2010 abgeschlossen
wurden.
Derzeit
bereitet der Tenor den Duca und den Nemorino vor, worauf sich seine
Fans, in Hamburg hat er inzwischen viele, freuen können. In den Niederlanden
hat er allerdings einen ganz besonderen. Auf ein Foto auf seiner Website
angesprochen, erzählt er von seiner Begegnung mit Königin Beatrix. "Es
war, glaube ich, 2006. Eine Gruppe von Amsterdam und Den Haag wurde
eingeladen, für eine Stiftung im königlichen Palast zu singen. Ich wurde
für den Tenorpart ausgewählt, sang dort und hatte anschließend die Gelegenheit,
mit der Königin zu sprechen. Sie ist sehr nett, sehr offen und spricht
ausgezeichnet englisch. Sie kam zu mir und sagte: ‚Mir hat Ihre Stimme
gleich gefallen. Als Sie beim Einsingen waren, kam ich vorbei. Mir gefiel
das sehr. Sie haben eine großartige Stimme." Über den Neid seiner holländischen
Freunde amüsiert er sich immer noch.
Die
Schlußworte seien diesmal dem Künstler (fast) selbst überlassen. "Ich
bin hier in Hamburg und freue mich auf meine nächsten großen Partien.
Ich arbeite hart und lerne laufend dazu. Mein Ziel ist es, mein Repertoire
zu erweitern, die Möglichkeit zu haben, an einem großen Haus und große
Rollen zu singen." Darauf freuen wir uns auch. Michaela Koch & Anke
Hartmann
www.dovletnurgeldiyev.com