Wien war immer anders, ...

Wien ist anders und die österreichische Kulturlandschaft ohnedies. Wir haben seit Monaten Turbulenzen in der Kulturszene.

Zum einen durch die neuerliche Verlängerung des Vertrages von Ioan Holender bis 2010, dann durch die Bestellung des neuen Direktors für das Theater an der Wien, das nun nach jahrelangen Kämpfen vom Musicalbetrieb loskommt und endlich wieder als Opernbühne geführt wird sowie die neue Direktion für die Raimundtheater (welches seinerzeit eine Operettenbühne war), das nun als große Musicalbühne und das Ronacher, das als Mehrzweckbühne geführt werden soll. Last but not least läuft am 15.11.2003 die Ausschreibung für die Direktion des Wiener Volkstheaters aus. Also es tut sich was.

Mit der „Falstaff“-Neuinszenierung hat Ioan Holender zweifellos gepunktet. Daß dies so ein Erfolg werden würde, konnte zwar geahnt werden (aufgrund der Interpreten), aber Sicherheit war doch keine gegeben. Somit konnte darin kein Grund für eine neuerliche Verlängerung des Vertrages bis 2010 gegeben sein. Außerdem ist es ja die Pflicht eines Direktors, gute Arbeit zu leisten, denn sonst bleibt ja das Haus leer, passiert dieses, gibt es kein Geld und bald konsequenterweise keinen Direktor. Also sind gute Aufführungen Zwang und Selbstschutz. Der Vertrag bis 2010 bringt Holender in das Buch das Rekorde als den längst dienenden Operndirektor in Wien.

18 Jahr hat vor ihm noch niemand geschafft.

Anläßlich der letzten Verlängerung bis 2007 .- Begründung das Mozartjahr müsse geplant werden und in einer Hand bleiben - gab es aber von Ioan Holender die Äußerung, daß damit genug sei, denn er wäre dann schon alt genug, und er möchte in Pension gehen, auch noch was anderes machen und sich vor allem der Familie widmen. Inzwischen kam es zur Übernahme der Konsulententätigkeit in Berlin und nunmehr die Direktionsverlängerung in Wien. Die Verlängerung habe sich aufgrund des vorgelegten Konzeptes (komplett neuer „Ring“) ergeben und dadurch, daß die Tätigkeit so erfolgreich wäre, sei es nur naheliegend, den Vertrag zu verlängern. So gut, so schön.

Erfolg, wie beurteilt man diesen? Rein nach Auslastung und Einnahmen? Gut, Wiens Opernhaus ist immer gut ausgelastet. Ist aber auch kein Wunder, denn Touristen gibt es immer genug (und die wollen dabei sein, und die Frage nach der Qualität ist bei den wenigsten relevant). Und jene Japaner, die sich auf den besten Plätzen in die Oper setzen, weil es ganz einfach zu einen Wienbesuch dazu gehört und dann schlafen, auch. Das ist für mich ein wirtschaftliches Merkmal, aber kein künstlerisches Kriterium. Ein Theater, eine Opernbühne sollte doch in erster Linie an der künstlerischen Qualität gemessen werden und erst in zweiter Linie an der wirtschaftlichen, zumal bei uns die Subventionen ohnedies sehr hoch sind.

Also ich verstehe die Verlängerung von Ioan Holender bis 2010 in keiner Weise. Für mich gibt es einige Berufsparten, die sehr stark von Erneuerung leben, und wo Kontinuität eine Versteinerung bringt. Eine Opernbühne, ein Theater gehört dazu. Ebenso Politik und Ämter. Bleibt eine Partei, ein Politiker, zu lange am Ruder, sieht man ja, was dabei herauskommt! Es ist wahrlich sehr diffizil, ein gutes Maß zwischen Veränderung und Kontinuität zu finden, vor allem muß man wissen, wo das eine gebraucht, und das andere gewünscht wird. Ein künstlerische Werkstätte oder eine Kundendienstabteilung (auch im Kunstbetrieb) wird Beständigkeit brauchen, der künstlerische Betrieb aber lebt von Erneuerungen. Sänger sind anders zu behandeln als Schauspieler. Ein Sänger, so traurig es ist , hat ein Ablaufdatum (welches sich natürlich nach dem eigenen Umgang mit der Stimme richtet), ein Schauspieler ist da viel weniger betroffen, wenn er geistig in der Lage ist, den Text zu behalten, kann er bis 90 spielen. Wir haben hier am Burgtheater solche Wunder.

Wir wollen ja dadurch nicht unsere lieben Lieblingssänger zur Untätigkeit verurteilen. Es gibt, so er es wünscht, für jeden Künstler eine Betätigung nach der aktiven Laufbahn.

Just vor kurzem hatten wir ein leuchtendes Beispiel von Verfall: Placido Domingo und „seine“ „Fedora“. Diese Oper wurde nur wegen ihm angesetzt, nach unten transponiert, damit er keine Problem bekommt, und dann scheitert er gerade an der kürzesten Arie der Opernliteratur, muß abbrechen, bekommt eine Pause, und erst dann geht das Spektakel – denn anders kann man es leider nicht nennen - zu Ende Die weiteren zwei „Fedora“-Vorstellungen werden durch zweimal „Tosca“ ersetzt. Frage : hat Placido Domingo das notwendig? Und selbst wenn es ihm dann und wann noch mal gelüstet als Sänger aufzutreten, so sollte er doch im Vorfeld schon erkennen, ob er erkältet, indisponiert oder krank ist, und sich zumindest ansagen lassen.

Und da komme ich wieder zum Direktor zurück. Es ist auch die Pflicht eines Direktors zu sorgen, daß selbst ein großer Star sich an gewisse Regeln halten sollte. Es ist die Pflicht, neue Leute zu bringen und jungen Sängern eine Chance auch an einem großen Opernhaus zu geben. Das wird bei uns schon praktiziert, aber daß man daneben sehr oft die alten Sänger vorgesetzt bekommt, das ist mager. Und hier finde ich , daß es unserem Direktor, der jetzt durch einige kleine Glückstreffer (Thielemann und Welser-Möst am Dirigentenpult) sogar zum Liebling der Presse mutiert ist, am entsprechenden Gleichgewicht mangelt. Jegliche Kritik in der Richtung wird abgeblockt durch Äußerungen, wie „Ich lasse mir doch vom Publikum nicht vorschreiben welche Opern ich spiele, und welche Sänger ich engagiere“.

Richtig, soll er nicht, er soll nur Denkanstöße aufnehmen. Das Publikum ist auch nicht blöd, und schon gar nicht jenes, das sich ebenso lange wie er mit Musik beschäftigt.

Ich weiß auch nicht, woher die Meinung kommt, ein Sänger müßte immer und in jedem Fach gleich gut sein, nur weil es der Stimmlage grundsätzlich entspricht. Es gibt Rollen, die liegen, andere, die liegen dem Künstler nicht, das ist auch von der Persönlichkeit und Haltung abhängig. Das ist auch ein Punkt dem der Direktor höchste Aufmerksamkeit widmen muß und soll. Tut er das nicht, dann kommen nur mittelmäßige Vorstellungen zustande, und das sieht ja die offizielle Pressekritik nicht, denn es geht ja kaum jemand in eine ganz gewöhnliche Repertoirevorstellung. Diese Generation Kritiker ist schon vor zwanzig Jahren ausgestorben.

Und dann kommt immer noch persönliche Sympathie und Antipathie und Eitelkeit hinzu. Das ist durchaus menschlich, und dafür habe ich höchstes Verständnis, aber genau das ist der Punkt, der sich bei einer zu langen Direktionsära, einer zu langen Politikerkarriere potenziert und für das Publikum/Volk unerträglich wird und daher vermieden, ja unterbunden werden muß. Wenn ich in der Zeitung lesen muß wie unser Kunststaatsekretär in einer Rede in New York (anläßlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Neil Shicoff), mehrmals Direktor Holender als „seinen Freund“ bezeichnet, habe ich mir meine ganz eigenen Gedanken gemacht.

Ich brauche Veränderung, auch wenn es nicht immer eine Verbesserung bedeutet. Es kommen aber neue Erkenntnisse, es entwickelt sich ein neuer Blickwinkel. Jetzt befinden wir uns in einem toten Winkel – und das bis 2010. EH