Seit
2006 gibt es im Braunschweiger Land unter dem Titel "Soli Deo Gloria"
ein kleines, aber feines Barockfestival, das nach einigem zeitlichen Hin
und Her nun auch einen festen Platz im (Kirchen)-Kalender gefunden hat,
die Woche um Himmelfahrt herum. Dieses Jahr stand naturgemäß im Zeichen
Georg Friedrich Händels (es sei denn, man befindet sich an der Hamburgischen
Staatsoper, wo man nach der von Intendantin Simone Young in einem zu Jahresbeginn
ausgestrahlten Fernsehfilm beredt angepriesenen "Radamisto"-Produktion
vergeblich sucht; sie steht in diesem Jahr nicht mehr auf dem Spielplan
…).
Für
das Braunschweiger Eröffnungskonzert stand mit der im Januar 1734 uraufgeführten
"Arianna in Creta" ein Werk auf dem Programm, das im Gegensatz zu seinem
Umfeld ("Orlando" 1732, "Ariodante" 1734, "Alcina" 1735) sehr schnell
und gründlich in Vergessenheit geraten ist. Gelegen haben mag das an den
damaligen Umständen; das gerade neu gegründete Konkurrenzunternehmen,
zu dem ein Teil von Händels Sängern (u. a. Senesino) gewechselt waren,
hatte bei seiner Eröffnung fünf Wochen vorher mit Porporas "Arianna in
Nasso" auch noch dieselbe Thematik behandelt. Direkte Folgeaufführungen
scheinen jedenfalls nur für den Herbst 1734 im Covent Garden und 1737
in Braunschweig - das damals eine florierende Residenz mit einem kunstsinnigen
Herzog war - nachweisbar zu sein.
Das
Libretto nach Pietro Pariati bietet vor dem Hintergrund der Minotaurus-Sage
die üblichen Liebes- und Eifersuchtsverwicklungen, denen der Zuhörer bei
einer konzertanten Aufführung ohne Übertitel einigermaßen verständnislos
ausgeliefert ist, zumal er im Programmheft nicht einmal eine Inhaltsangabe
geliefert bekommt. So muß sich der des Italienischen Unkundige selbst
zusammenreimen, daß es sich bei Alceste nicht etwa um die von Gluck her
bekannte Figur, sondern um eine Männerrolle (!) handelt (die Endung auf
"e" ist im Italienischen ja im Grundsatz geschlechtsneutral). Erkennbar
ist dies nur daran, daß die Sopranistin ebenso wie die Interpretinnen
des Teseo und des Tauride Hosen trägt.
Wer
sich freilich davon nicht abhalten und Handlung Handlung sein ließ, der
bekam Händel vom Feinsten, denn zusammen mit der ACADEMY OF ANCIENT MUSIC
unter Christopher HOGWOOD hatte sich ein hochkarätiges Solistenensemble
auf der Bühne des Braunschweiger Theaters versammelt. Für die erkrankte
Angelika Kirchschlager war Kristina HAMMARSTRÖM als Teseo eingesprungen,
wobei von "Ersatz" keine Rede sein konnte, bot sie doch mit ihrem schlanken,
warm timbrierten Mezzo neben einem locker perlenden Feuerwerk an Koloraturen
auch noch eine höchst differenzierte Phrasierung in den langsamen Arien
und eine äußerst dramatische Gestaltung der Rezitative. Da konnte man
auch ohne Sprachkenntnisse zumindest den emotionalen Gehalt problemlos
erfassen. Als absolut ebenbürtig erwies sich die Arianna von Miah PERSSON,
weich im Klang, mit leuchtenden Höhen und wunderschönen Bögen.
Daß
sich Sonia PRINA (Carilda) und Marina de LISO (Tauride) mit den zweiten
Plätzen begnügen mußten, lag am Umfang der Partien, nicht am Können. Erstere
besitzt einen echten Koloraturalt von wunderbar warmer Färbung und einer
Beweglichkeit, bei der man aus dem Staunen kaum herauskommt; und letztere
zeigte mit dunkel timbriertem, gleichwohl sehr metallischem Mezzo, daß
sich gewaltige dramatische Attacke und barocker Gesangsstil sehr wohl
vertragen.
Als
wenig ergiebig erwies sich die Partie des Alceste. Lisa MILNE machte mit
ihrem schön geführten, leicht neutralen Sopran das Beste daraus, wohl
dem, der diese Qualität auch noch für solche Partien aufbieten kann. Einziger
Wermutstropfen war Antonio ABETE, der den Minos mit finsterer Miene und
rauhem Baß gab und sich bei seiner einzigen Arie sowohl mit der Intonation
als auch mit den Läufen plagte.
Die
Academy lieferte zu all dem unter Hogwoods jederzeit auf die Sänger achtender,
gleichwohl nie im dramatischen Impetus nachlassender Leitung das klangliche
Fundament, stilistisch kompetent und variabel im Klang, wodurch die erstaunlich
vielfältigen Varianten, die Händel dem mit Streichern, Flöte, zwei Oboen,
zwei Hörnern und Fagott nicht ungewöhnlich besetzten Orchester entlockt,
hervorragend zur Geltung kamen. Auffällig war einmal mehr der bei britischen
Orchestern hohe Anteil an Frauen auch an Instrumenten, die man nicht automatisch
mit ihnen verbindet, so waren die Kontrabässe fest in Damenhand. HK
|