Interview mit Katerina Tretyakova (April 2012)
Sopran, zierlich, blond. Das sind vordergründig betrachtet einige Klischees,
irgendwie. Im
Fall von Katerina Tretyakova sind es aber eben nur Klischees. Dahinter
steckt eine Frau mit Persönlichkeit.
"Ich
freue mich, wenn ich den Leuten mit meinem Gesang etwas Schönes schenken
kann", sagt Katerina Tretyakova irgendwann während unseres Gesprächs,
und man spürt, wie wichtig ihr dieser Teil ihres Berufes ist.
Lebensfroh,
selbstbewußt, quicklebendig - es gibt viele Adjektive, um den jungen
Sopran zu beschreiben. Sie lacht gern und viel, berichtet aber auch
von den Schattenseiten des Sängerberufs, die sie allerdings bisher gut
gemeistert hat. Sie gehört zu dieser neuen Sängergeneration, die selbstbewußt
durchs Leben geht, ohne dabei überheblich zu wirken, und die die Freude
an ihrer Tätigkeit scheinbar mühelos dem Publikum vermitteln kann.
Katerina
Tretyakova stammt zwar nicht aus einer Musiker-, aber aus einer sehr
musikalischen Familie. "Meine Mutter hat als Kind Ballett getanzt, mußte
allerdings damit aufhören. Sie hat dann Geige studiert, später aber
einen anderen Beruf ausgeübt. Sie wäre bestimmt eine gute Musikerin
gewesen, weil sie mit so eine leidenschaftliche Opern- und Musikliebhaberin
ist. Mein Vater hat zuhause sehr oft russische Lieder gesungen. Er hatte
eine tiefe baritonale Stimme und hat immer wieder, wenn er Lust hatte,
beim Arbeiten gesungen. Meine Tante war eine Chorleiterin. Im Blut habe
ich also schon etwas davon."
Die
in Murmansk geborene Sängerin kam als kleines Kind mit ihren Eltern
nach Litauen, wohin ihr Vater aus beruflichen Gründen umziehen mußte.
"Ich habe als Kind die Musikschule besucht und mit Klavierspielen angefangen.
Chorleitung habe ich auch studiert und dann gedacht, ich möchte gerne
singen - und zwar allein, nicht im Chor." Mit fünfzehn ging sie nach
Vilnius, um am dortigen Konservatorium zu studieren. "Bewundernswert,
daß meine Mutter mich in dem Alter weggelassen hat. Ich war kein so
ruhiges Kind und hatte ihr ab und zu sehr viele Sorgen gemacht. In diesem
Alter kann ganz schön viel schiefgehen, aber ich war ganz brav, habe
immer hart gearbeitet. Natürlich bin ich auch mal die ganze Nacht in
Diskotheken gewesen, habe danach kaum geschlafen und bin dann trotzdem
pünktlich zu meinem Unterricht erschienen, um z. B. zu dirigieren."
Eine
ihrer Lehrerinnen war der Meinung, daß sie als Dirigentin sehr talentiert
sei. "Aber Dirigieren war nicht ganz mein Fach." Umsomehr bewundert
sie Simone Young für ihre Energie und Arbeit mit dem Orchester. Mit
achtzehn Jahren entschied sie sich endgültig für den Sologesang.
An
der Akademie in Vilnius machte Katerina Tretyakova ihren Bachelor und
begann dann ein Magisterstudium. Ihre Lehrerin Giedre Kaukaite wies
sie auf die Möglichkeit eines Austauschstudienjahres im Ausland hin.
"Ich ging als Austauschstudentin im zweiten Magisterstudiensemester
mit einem Stipendium nach Salzburg." Die Zeit in Salzburg war sehr hart,
da das Stipendium gerade zum Leben reichte und daher einiges an Rechenkünsten
erforderte. Neben ihrer musikalischen Ausbildung absolvierte sie dort
auch einen Deutschkurs. Da sie primär von deutschsprachigen bzw. deutschsprechenden
Kommilitonen und Lehrern umgeben war, behalf sie sich die erste Zeit
mit einem Wörterbuch. "Es waren ganz spannende Zeiten. Ich hatte so
ein Miniwörterbuch aus Litauen mitgebracht, ich durfte ja nicht mehr
als 15 kg Gepäck im Flugzeug mitnehmen. In den Proben habe ich dann
mitgeschrieben und abends zuhause das eine oder andere Wort nachgeschlagen."
Bereits
in Vilnius hatte Josef Wallnig, der Leiter der Opernabteilung des Mozarteums,
die Sängerin bei einer Masterclass als Pamina gehört. "Ich habe ihm
sehr gut gefallen, und er sagte, du mußt ein Projekt bei mir machen."
2006 ergab sich so die Möglichkeit, daß sie bei den Salzburger Festspielen
die Partie des Hyacinthus in der ersten Mozart-Oper "Apollo und Hyacinthus"
singen durfte. Außerdem fungierte sie als Cover in "Die Schuldigkeit
des ersten Gebots" von Mozart. "Unsere Produktion hatte die tollsten
Kostüme, wir sahen wie Marionetten aus. Die Kostümabteilung und die
Maskenbildner brannten für diese Produktion und taten alles, damit wir
Sänger uns wohlfühlten. Es machte sehr viel Spaß."
Sie
entschied sich, im deutschsprachigen Raum zu bleiben, weil sie spürte,
daß sie hier aus eigener Kraft eine Karriere aufbauen könnte. Nach dem
Opernabschluß in Salzburg sang sie für die Opernstudios in Zürich, München
und Hamburg vor und konnte zwischen München und Hamburg wählen. Die
Entscheidung für Hamburg fiel aufgrund der Professionalität des Angebots
sowie der Möglichkeit, gleich größere Partien auf der Bühne zu singen.
Während der Opernstudiozeit sang sie Gianetta ("L'elisir d'amore"),
Musetta, Valencienne, Papagena und Oscar. "Ich bin sehr froh, mich so
entschieden zu haben. Woanders bekommen Opernstudiomitglieder viel kleinere
Partien. Wir waren hier sehr gut aufgehoben."
Seit
der Spielzeit 2010/11 ist Katerina Tretyakova Mitglied des Ensembles
der Hamburgischen Staatsoper. Sie sang neben dem Ighino in der Neuproduktion
von "Palestrina" die Gilda, Pamina, Adina, Gretel, Adele und begeisterte
mit Professionalität und Musikalität jedes Mal das Publikum. "Ich liebe
klassische Musik, Puccini, Mozart, Verdi oder russische Komponisten.
Das ist, was die Leute bewegt, und die Seele reinigt. Es ist mein Job,
etwas Schönes zu schenken. Ich bin sehr offen für Kritik, wenn sie hilfreich
ist, wenn ich etwas ändern kann."
Über
die Verleihung des Dr. Wilhelm-Oberdörffer-Preises durch die Sponsoren
der Hamburgischen Staatsoper hat sie sich sehr gefreut. "Ich bin erst
so kurze Zeit hier und bekomme bereits solche Anerkennung." Dabei ist
das nicht der erste Preis, den Katerina Tretyakova erhalten hat. Sie
gewann den litauischen Paulauskas-Wettbewerb, den litauischen Jonuskaite-Zauniene-Wettbewerb,
den zweiten Preis im internationalen Dvorak-Wettbewerb, sowie Einladungen
für eine Partie an der Prager Staatsoper und einen Liederabend in Prag.
Außerdem erhielt sie die Lilli-Lehmann-Medaille des Mozarteums.
Die
Künstlerin nutzt gerne die Chance, mit erfahrenen Kollegen auf der Bühne
zu stehen und von diesen zu lernen. "Ich war Cover von Gabriele Rossmanith
als Valencienne mit Harry Kupfer als Regisseur, und ich habe unheimlich
viel an Aussprache, Bühnenpräsenz, wie man etwas ausdrückt, eine Geste
macht, gelernt. Ich bin sehr froh, daß ich an einem großen Haus bin
und diese Möglichkeiten habe."
Neue
Rollen erarbeitet sie sich zuerst von der Figur her, sie beschäftigt
sich mit dem Umfeld, dem Text und erhält so einen Blick von außen auf
den Charakter. Dieses eigene Bild versucht sie dann mit der Sichtweise
des Regisseurs in Einklang zu bringen und entwickelt manchmal kleine
Geschichten, weshalb sich eine Figur eben so verhält. "Ich habe in Litauen
eine Schauspiellehrerin gehabt, die von der Stanislawski-Schule kam."
Dadurch lernte sie, stets mehrere Wege zur Charakterisierung zu finden.
Zuletzt
folgen dann die musikalischen Feinheiten, beispielsweise wie eine Phrase
zu färben ist. "In Studienzeiten hatte ich die Tendenz, alles schön,
mit perfektem Klang zu singen. Doch das wird dem Zuhörer schnell langweilig.
Jetzt arbeite ich vielmehr mit Stimmfarben und anderen Feinheiten, auch
wenn es für mich selbst manchmal häßlich klingt. Was Sänger selbst hören
und andere hören, ist total anders. Wir brauchen immer wieder Ohren
von draußen, die uns sagen, das ist gut, das ist schlecht."
Feedback
ist ihr sehr wichtig. "Früher wußte ich nicht, daß es so schwierig ist
und soviel Energie braucht zu singen. Als ich noch Chorleitung studiert
habe, dachte ich, Gesang ist etwas Einfaches. Später merkte ich, wie
anstrengend das ist. Man perfektioniert sich immer weiter und braucht
sehr große Konzentration und viel Energie."
Für
die kommende Spielzeit freut sie sich auf ihre Debüts als Nannetta,
Zerlina und Susanna sowie auf die Rückkehr als Musetta, Adele und Pamina.
Im Theater am der Wien wird sie Regina in "Mathis der Maler", einer
Produktion unter Bertrand de Billy, singen. Sie hat mit ihm bereits
in der Musikhalle für "Egmont" zusammengearbeitet. "Es macht mir soviel
Spaß, ich bin ein Fan von ihm - egal welche Rolle, ich mache mit. Ich
freue mich sehr auf dieses Projekt."
Ihre
Traumpartie ist die Violetta in "La Traviata", ein Traum, der sich hoffentlich
bald erfüllen läßt.
Michaela Koch & Anke Hartmann
www.katerinatretyakova.com